NS-Zwangsarbeit: Olga Aleksejewna T., geb. 15.4.1925, deportiert im Oktober 1942 (Winkel)

Olga Aleksejewna T., die nach dem Krieg als Verkäuferin arbeitete, erinnerte sich im Dezember 2000 an die Deportation und die Zwangsarbeit bei der Firma Winkel in Göttingen:

"Wir wurden am 20.10.1942 morgens früh wurden von deutschen Polizisten und von unseren russischen Überläufern, die nicht kämpfen wollten, verschleppt.
Wir wurden in Güterwagen geladen. Auf dem Boden war ein bisschen Stroh. Wir wurden in einem geschlossenen Wagen bis zur Grenze gefahren; dort sind wird gewaschen worden und wurden zu einem Platz transportiert.

Am 9.11.1942 wurden wir 40 Frauen von einem Polizisten in die Firma R. Winkel geführt. Dort wurden wir in eine Reihe gestellt. Dann kam der Besitzer mit einer Übersetzerin. Er schichte 3 von uns in den 3. Stock. Ich reinigte die Optik und die zwei anderen arbeiteten an den Werkmaschinen. Fast immer arbeitete ich in dieser Abteilung, ab und zu putzte ich den Hof. Was in der Firma hergestellt wurde, wusste ich nicht.

In der Fabrik gab man mir eine Arbeitsjacke und Hosen, und eine Mütze für den Kopf. Im allgemeinen hatten wir das an, was wir bei unserer Ankunft angehabt haben. Später, als ich in der deutschen Familie zu arbeiten bekommen hatte, bekam ich von ihr getragene Kleidungsstücke.

Eines Tages (wahrscheinlich im Jahre 1943 - [eher 1944 - C.T.]) kam zu uns in die Baracke ein Polizist und sagte: "Wer in einer deutschen Familie arbeiten will, mussen morgen zum Tor kommen." Ich und andere sind gegangen und haben uns in einer Reihe aufgestellt. Hinter dem Stacheldraht auf der Straße standen die deutschen Frauen und wählten sich eine Arbeiterin. Der Polizist schrieb die Nummer auf und sagte uns, wann wir ins Lager zurückkehren müßten. Ich habe die Wohnung geputzt, die Wäsche gewaschen und noch irgendetwas. Die Hausfrau hat mir etwas zum Essen gegeben und etwas zum Mitnehmen (4 Kartoffeln und zwei Butterbrote). Ich kam abends von der Arbeit und kochte aus einer der Kartoffeln eine Suppe. Dann noch 90 gr. Brot und das war mein Abendessen.

Karteikarte aus der Betriebskartei Winkel für Olga Aleksejewna T.

Während wir in der Fabrik arbeiteteten, bekamen wir zum Mittagessen eine Suppe, die die Schweine nicht essen würden. Rüben und Kartoffeln, das alles war nicht geschält, nur durch die Maschine kleingeteilt. Ich konnte das nicht essen. Unsere Kantine wurde aus einem Schweinestall gemacht, dort, neben den Schweinen wurde ein Tisch aufgestellt für 40 Menschen. Die Menschen anderer Nationen aßen in der deutschen Kantine. Abends, wenn wir von der Arbeit zurückkamen, bekamen wir 180 gr. Brot, 20 gr. Margarine und einen nicht vollen Löffel Zucker, und das für Tag und Nacht. Das Brot wurde mit Sägemehl gebacken. Ja, wir hungerten sehr stark. Es war so: Ich legte mich ins Bett und konnte vor Hunger nicht einschlafen und dachte mir: "O, mein Gott, wenn ich doch einschlafen könnte!"

Ja, ich habe mit meiner Freundin gebettelt. Das war Anfang 1943 [wohl eher 1944 - C.T.], als es uns erlaubt wurde, zwei Stunden Spazieren zu gehen. Einige gaben uns Almosen, einige gaben uns keine. Stehlen konnten wir nichts und nirgends. Nur einmal, im Sommer 1943, haben wir Früchte neben der Autobahn gesammelt.

Den Deutschen war es streng verboten, uns etwas zu Essen zu geben. Aber bisweilen taten sie es: Morgens kam ich zur Arbeit, öffnete den Kasten und dort lag etwas. Ich war sehr zufrieden und weinte.

Als ich vor Hunger Magenschmerzen bekam, habe ich schon gedacht, das ist das Ende, ich sterbe. Aber trotzdem hoffte ich auf ein Wiedersehen mit meiner Mutter und meinen zwei kleinen Brüderchen, die in der Heimat geblieben waren.

Aber es gab damals einen guten Menschen, eine Frau namens Winkel, die in der Fabrik, in der Küche, gearbeitet hat [es ist unklar, ob sie hier den Namen der Fabrik mit dem der Frau, die in der Küche arbeitete, verwechselt oder es es wirklich eine Frau Winkel in der Küche gab - C.T.]. Sie hat uns jeden Tag die Reste von Lebensmitteln mitgebracht, die vom Teller in einer Schüssel gesammelt und dann an die Schweine verfüttert werden sollten. Aber diese Frau Winkel hat das Essen nicht den Schweinen gegeben, sondern uns, nach und nach. Wir waren sehr glücklich und jeden Tag, mittags, erwarteten wir sie wie eine Göttin. Sie hat viel riskiert. Sie hätte ihre Arbeit verlieren können. Wir taten ihr leid, wir, wir jungen, hungrigen Leute."

Die "Ostarbeiterinnen" von Winkel waren im Lager Schützenplatz untergebracht:

"Wenn wir von der Arbeit zurückgekommen sind, haben uns die Wachleute im Lager je 3 Stück Kohle gegeben, um unsere Zimmer zu heizen. Es war kalt beim Schlafen, ich schlief oben.

Am 7. Januar, das ist unser Weihnachtsfest, kam, nachdem wir von der Arbeit zurückgekommen waren, ein Wachmann zu uns und sagte, wir sollten gehen und uns duschen. Als wir begannen uns zu duschen, ging plötzlich das Licht aus und das Wasser wurde eiskalt. Wir begannen gegen die Tür zu klopfen, aber sie war verschlossen. Wir riefen um Hilfe, aber niemand hat uns geöffnet. Wir waren nass und sind vor Kälte steif geworden. In der Dunkelheit konnten wir unsere eigenen Kleider nicht finden, jede nahm irgend etwas. Nachdem die Tür geöffnet worden war, liefen wir nackt in die Baracke. Wir haben nicht erfahren, wer so etwas mit uns gemacht hat. Wahrscheinlich die Wachleute. Am anderen Tag haben wir unsere Kleider zurückgetauscht."

Briefe in die Heimat schrieben wir keine, das war nicht erlaubt. Wir hatten keine Zeitungen, keinen Radioempfänger. Wir wussten nichts. Es gab Menschen, die uns gesagt haben, bald seien die Russen kaputt und wir würden niemals in die Heimat zurückkehren. Wir würden hier für immer bleiben. Ich begann zu weinen. Aber am nächsten Tag sagte ein anderer Mann, dieser Verfluchte solle nicht lügen. Die deutschen Soldaten zögen sich zurück. Das war 1944.

In der Abteilung bei Winkel gab es ein Radio. Wenn es eingeschaltet wurde, sammelten sich alle Leute darum und hörten zu. Wir aber wurden in einen anderen Teil der Abteilung geschickt, damit war das Radio nicht hören konnten.

Zum Kriegsende:

"Das war am 8.4.1945: Ich arbeitete bei der deutschen Familie. Die Hausfrau ging zum Einkaufen in ein Geschäft. Dort sagte man ihr, unser Lager sei von den Amerikanern bombardiert worden. Die Wirtin gab mir etwas zu essen und sagte, ich darf schnell ins Lager gehen, es sei zerstört worden. Ich kam in das Lager, aber dort war niemand. Die Baracken waren zum Teil zerstört. Als ich in mein Zimmer trat, war es dort leer. Ich sah durch das Fenster, dort lag eine nicht explodierte Bombe. Ein Junge, der vorbeiging, hat mich mitgenommen und aus der Stadt geführt. Dort wurden unsere Leute einquartiert, dort lebten vorher die Franzosen.
Im Mai (an das Datum erinnere ich mich nicht) wurden wir zum Fluß gebracht, mit einem amerikanischen LKW, und dann den sowjetischen Soldaten übergeben. Danach arbeitete ich noch im Lazarett. Im September 1945 bin ich nach Hause zurückgekehrt."

Nachdem wir von Deutschland nach Hause gekommen waren, hat uns oft der KGB verhört. Sie haben uns gefragt, wie und warum wir nach Deutschland gekommen sind. Dann, ab 1948, fingen wir an, immer besser und besser zu leben. Im Jahre 1949 heiratete ich und habe 3 Kinder zur Welt gebracht."



Quellen:

Fragebogen Olga Aleksejewna T., geb. 15.4 1925, ohne Datum (Eingang 6.12.2000), Stadtarchiv Göttingen, Sa. 32- Sammlung Tollmien, Korrespondenz und Foto-CD.

Betriebskartei Winkel, Stadtarchiv Göttingen, Kleine Erwerbung 192.

 


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