Valentina Alexandrowna L., geb. 26.3.1931, seit September 1941 wegen ihres jüdischen Vaters untergetaucht oder auf der Flucht, im August 1943 als 12jährige deportiert (Reichsbahnausbesserungswerk)

Valentina Alexandrowna L., geb. am 26. 3.1931, war zehn Jahre alt, als die Deutschen im September 1941 ihre Heimatstadt Kertsch auf der Krim besetzten. Ihre Mutter war Russin und ihr Vater Jude und es gelang der Familie nicht, rechtzeitig aus Kertsch zu flüchten. Und nach der Besetzung gab es keine Möglichkeit mehr zu entkommen, da auf der einen Seite der Stadt die deutschen Soldaten waren und auf der anderen die Meerenge von Kertsch. Die Familie erlebte die Erschießung von 7000 Juden in der Stadt. Valentina selbst, ihr kleiner fünfjähriger Bruder, aber auch der Vater waren durch die Mischehe zunächst geschützt. Im Dezember 1941 wurden Kertsch von der Sowjetarmee zurückerobert und die Familie blieb in der Stadt. Doch im Mai 1942 wurde Kertsch erneut von den Deutschen besetzt. Dem Vater gelang die Flucht. Die Mutter mit den beiden Kindern war in einem Dorf außerhalb von Kertsch gewesen und als sie in die Stadt zurückkamen, war der Vater schon geflohen, die Mutter des Vaters bei den Bombardements umgekommen. Der Vater des Vaters und dessen Schwester, die nicht hatten fliehen können, wohnten mit Valentina, ihrem Bruder und ihrer Mutter zusammen. "Können Sie sich vorstellen, welche Angst wir hatten", schrieb Valentina. Bei einem Einkauf auf dem Markt gerieten der Großvater und seine Schwester in eine Razzia, sie wurden gefangen und erschossen.

Nach einer Verschärfung der Gesetze wurden dann auch alle gemischt-verheirateten Familien aufgefordert, sich mit Verpflegung für drei Tage auf einem Sammelplatz einzufinden. Weil sie wusste, was das bedeutete, tauchte die Mutter mit den beiden Kindern unter. Sie nahm ihren Mädchennamen wieder an, gab diesen Namen auch der Schwester ihres Mannes und schickte diese aus Kertsch weit weg aufs Land. Sie selbst blieb mit den beiden Kindern in der Stadt, weil sie hoffte, mit ihrem russischen Namen dort unentdeckt weiterleben zu können. Doch ein russischer Polizist, der sie kannte, verriet sie. Die Mutter erhielt eine Aufforderung, sich bei der deutschen Kommandantur melden. Darauf nahm sie ein paar Sachen und floh mit den beiden Kindern aus der Stadt. Ab und zu fuhren sie auch mit dem Güterzug, aber die meiste Zeit gingen sie zu Fuß. Das war im August 1942 und zum Glück war es warm.

In der Stadt Krjukow (bei Krementschug, auf halber Strecke zwischen Kertsch und Kiew am Dnjepr gelegen) fanden sie Unterschlupf bei einer älteren Frau und lebten mit ihr im Keller eines zerstörten Hauses. Nur nachts wagten sie, den Keller zu verlassen, aus Angst, man könnte den Kindern ihre jüdische Herkunft ansehen.

Valentina Alexandrowna schrieb: „Im August oder September 1943 gab es eine Razzia. Deutsche Soldaten, bewaffnet mit Maschinenpistolen, trieben alle Bewohner von Krjukow zum Bahnhof. Dort wurden sie in Güterwagen geladen und abtransportiert. Wohin und warum, wussten wir nicht. Die Türen wurden erst nach drei Tagen, nachdem der Zug bereits die Grenze überquert hatte, erstmals geöffnet. Dort wurden wir entlaust, konnten uns etwas waschen, bekamen etwas zu essen und wurden wieder in den Wagen getrieben. So sind wir nach Deutschland geraten.“

Sie kamen zunächst in das Reichsbahnausbesserungswerk nach Trier, wo die inzwischen 12jährige Valentina Eisenteile in Petroleum waschen und andere Hilfsarbeitern verrichten musste. Nach den Luftangriffen auf Trier im Sommer 1944 wurden sie zunächst nach Kassel und dann nach Göttingen gebracht, wo die Mutter wieder im Reichsbahnausbesserungswerk und Valentina im Lager arbeitete. Sie erlebte den Bombenangriff am 1. Januar 1945 auf das Lager Schützenplatz und das Reichsbahnlager "Auf der Masch" mit, wurde dabei am Kopf verletzt und durch einen deutschen Arzt versorgt.

Nach Kriegsende wurden sie im Mai oder Juni 1945 den Russen übergeben und kehrten im August oder September 1945 aus Deutschland nach Kertsch zurück. Der Vater und seine Schwester hatten den Krieg überlebt und 1946 war die Familie wieder vereint. Die Kinder, die nach dem Krieg wieder den Namen des Vaters trugen, wurden von den sowjetischen Behörden in Ruhe gelassen, die Mutter dagegen jahrelang immer wieder verhört; man gab ihr keine Papiere, sie konnte keine Arbeit finden und die Familie lebte unter ständigen Hunger in Scheunen. Erst nach zwei oder drei Jahren bekam auch die Mutter endlich Papiere und wurde in Ruhe gelassen.

"Ich bin", schrieb Valentina Alexandrowna, "dem Herrgott sehr dankbar, dass es in diesen schwieren Jahren unsere Mutter gab. Ich weiß nicht, was sonst mit mir und meinem Bruder passiert wäre, ob wir am Leben geblieben wären."

 

Die Eltern 1930

Die Eltern 1930 - die Mutter 20, der Vater 22 Jahre alt.

Valentina mit Bruder und Mutter 1945 Oktober 1945 - zwei Monate nach der Rückkehr aus Deutschland: Valentina (14 Jahre alt), der Bruder (9 Jahre alt) und die Mutter (35 Jahre alt).

Valentina mit Jelena 2005 Valentina Alexandrowna mit einer anderen ehemaligen Zwangsarbeiterin Jelena Kijan im September 2005 in Simferopol



Quellen:

Valentina Alexandrowna L., Briefe, 7.1.2001, 17.1.2001, Fragebogen ohne Datum (Eingang 3.3.2001), Briefe 14.3.2003 (Zitate), 12.5.2003 (letztes Zitat), 1.2.2006, und Fotos, Stadtarchiv Göttingen, Sa. 32- Sammlung Tollmien, Korrespondenz und Foto-CD.

 


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