NS-Zwangsarbeit: Konditorei & Café Cron & Lanz (Inhaber Gebr. Grummes), Weender Straße 25

1876 wurde Göttinges Nobelcafé durch Zusammenschluss der Betriebe der beiden Konditormeister Cron und Lanz gegründet. 1904 erwarb Adolf Grummes Cron & Lanz und zog 1912 in das Gebäude in der Weender Straße um. Heute leitet Andreas Grummes mit seiner Tochter Ulrike das Haus in dritter und vierter Generation.

Genauigkeit statt wohlfeiler Empörung:

Seit Mitte der 1980er Jahre die "Ausbeutung von Zwangsarbeitern" in Göttingen erstmals vom DGB thematisiert wurde, stand Cron & Lanz immer im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, wenn es um Zwangsarbeit und Zwangsarbeiter in Göttingen ging. "Selbst Cron und Lanz [...] ergreift die Gelgenheit und stellte zu solchen Bedingungen [Bezug ist hier der Lohn eines polnischen Arbeiters - C.T.] vier zwangsverschleppte 'Hausgehilfinnen' an. Am 1. Juli 1941 zeigt der Besitzer von Kron und Lans [sic!], Grummes, die Flucht der vier Arbeiterinnen bei der Polizei an, die daraufhin festgenommen werden." - So lautete 1985 der Kommentar zur Zwangsarbeiterbeschäftigung bei Cron & Lanz in einer Ausstellung, die der DGB zu verantworten hatte (etwas abgemildert, aber ähnlich findet sich auch eine entsprechende Bemerkung im Göttinger Betriebsexpress Nr. 162 vom 12.4.2000).

In diesen beiden zitierten Sätzen ist einiges richtigzustellen: Erstens handelte es sich bei den Hausgehilfinnen, die seit Februar bzw. Mai 1941 bei Cron & Lanz arbeiteten nicht, wie durch den Kontext nahegelegt, um Polinnen, sondern um Fläminnen. Zweitens waren diese nicht "zwangsverschleppt", sondern - zumindest wenn man wirtschaftliche Gründe, im Einzelfall auch persönliche Not außer Acht lässt - freiwillig nach Göttingen gekommen. Denn nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, in dem die Deportation Zehntausender Belgier nach Deutschland große internationale Empörung ausgelöst hatte, setzte man bei den deutschen Besatzungsbehörden in Belgien bis 1942 noch vollständig auf Freiwilligkeit. Befördert durch die hohe Arbeitslosigkeit im eigenen Land gingen daher bis Mitte 1941 schätzungsweise 189000 Belgier wegen einer Arbeitsstelle mit ordentlichen (befristeten) Arbeitsverträgen nach Deutschland.

Richtig ist, dass der Besitzer Hans Grummes am 1. Juli 1941 die "Flucht" von vier "Vlamenfrauen" aus seinem Betrieb anzeigte, wobei er vermutete, dass diese sich in Hamburg oder anderswo einen anderen Arbeitsplatz gesucht hätten. Tatsächlich waren zwei der Fläminnen nach Köln gereist, von wo sie eine Arbeitskollegin benachrichtigten und sich auch ordnungsgemäß beim Arbeitsamt meldeten und eine Arbeit in einem Krankenhaus zugewiesen bekamen. Die beiden anderen waren nach Belgien zurückgekehrt und hatten dabei nicht nur einen Koffer der bei Cron & Lanz beschäftigten Köchin, sondern auch einen Schlüssel der Konditorei mitgenommen. In einer im Januar 1942 in Antwerpen erfolgten Vernehmung gab eine der Arbeiterinnen an, dass sie doch habe abschließen müssen und deshalb den Schlüssel mitgenommen habe. Die Anzeige von Grummes wird durch diesen fehlenden Schlüssel, der jedem Einbrecher Tor und Tür geöffnet hätte, zumindest nachvollziehbar, zumal wenn man außerdem bedenkt, dass "Arbeitsvertragsbruch" - damals allgemein als "Flucht gewertet - für die Arbeitgeber wegen des herrschenden Arbeitskräftemangels durchaus ein Problem darstellte (und das nicht nur bei Ausländern, sondern auch bei Deutschen, die diesbezüglich ebenfalls den regiden Regeln eines unfreien Arbeitsmarktes unterworfen waren). Arbeitserziehungslager oder gar KZ drohte flämischen Arbeitskräften zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht und Grummes bestand in seiner Anzeige auch nicht auf einer strafrechtlichen Verfolgung. Die Gestapo wurde von der Göttinger Kriminalpolizei denn auch über den Fall nur in Kenntnis gesetzt und die Kriminalpolizei übernahm - "soweit eine strafbare Handlung in Betracht kommt" - die Verfolgung selbst. Diese bestand dann lediglich in einer Vernehmung in Köln am 17.7.1941 und einer späteren Antwerpen am 19.1.1942, nach denen festgestellt wurde, dass strafbare Handlungen nicht vorlägen. Das bezog sich auf den mitgenommenen Schlüssel und den Koffer, aber auch das unerlaubte Verlassen des Arbeitsplatzes wurde nicht geahndet. Die beiden, die in Köln eine neue Arbeitsstelle gefunden hatten, durften dort bleiben, und die beiden anderen, die zurück nach Hause gefahren waren - es handelte sich im Übrigen um Mutter und Tochter - waren schon im August 1941 wieder nach Göttingen zu Grummes zurückgekehrt. Hans Grummes hatte den Rücktransport bezahlt. Und nicht nur das: Im Oktober 1941 stellte er den 14jährigen Sohn (bzw. Bruder) seiner beiden flämischen Helferinnen als Lehrling in seiner Konditorei ein. Dieser verließ Cron & Lanz nach seiner Ausbildung im August 1944, um zur Waffen SS zu gehen. Es ist dabei allerdings zu bedenken, dass die westlichen Arbeiter in Deutschland regelmäßiger, massiver auch mit Drohungen durchsetzter Werbung (Überweisung an einen Rüstungsbetrieb) ausgesetzt waren, sich zur Waffen-SS zu melden. Dies berichtete in seinen Erinnerungen der holländische Medizinstudent Lambert M., der allerdings auch deutlich machte, dass man einfach ablehnen konnte. Unter Einschluss der geschilderten Vorgeschichte sind daher dennoch massive Zweifel am Zwangsarbeiterstatus der gesamten Familie angebracht.


Cron & Lanz in den Zwanziger Jahren
(Städtisches Museum Göttingen)



Arthur C., geb. 28.4.1927, Flame, Lehrling bei Cron & Lanz, ging am 17.8.1944 zur Waffen SS (Aufenthaltsanzeigen für Ausländer, Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 15).

Um herauszufinden, dass sich Arthur C. zur Waffen SS gemeldet hat, war es allerdings notwendig, die alte deutsche Schrift lesen zu können (Sütterlin), wie der obenstehende Scan aus der Aufenthaltsanzeige von Arthur C. zeigt. Es lohnt sich also, in jedem einzelnen Fall genau hinzusehen. Wenn eine der beiden nach Köln gewechselten Fläminnen in ihrer Vernehmung am 17. Juli 1941 angab, sie habe Cron & Lanz verlassen, weil die anderen Angestellten sie nicht hätten leiden können und ständig beschimpft hätten und das nur, weil sie Flamen gewesen seien - so ist eine solche Bemerkung, auch wenn sie als Verteidigung für das unerlaubte Verlassen des Arbeitsplatzes angeführt wurde, wahrscheinlich durchaus zutreffend. Die Göttinger waren sicher in ihrer Mehrzahl nicht besonders ausländerfreundlich. Auch persönliche Animositäten können eine Rolle gespielt haben oder auf Seiten der flämischen Hilfskräfte vielleicht einfach der Wunsch, einen Arbeitsplatz in einer Stadt näher der belgischen Heimat zu haben. Grundsätzlich aber waren speziell die als besonders deutschfreundlich geltenden flämischen Arbeitskräfte in Deutschland auch bei ihren deutschen Arbeitskollegen in der Regel sehr weitgehend akzeptiert.

Insgesamt aber bleibt festzustellen, dass Cron & Lanz kein besonders herausragender ausbeuterischer Zwangsarbeiterbetrieb war (auch wenn später mindestens noch eine Polin in der Konditorei als Zwangsarbeitende beschäftigt war). Cron & Lanz taugt daher nicht als Stellvertreter für die "zahlreichen kleinen südniedersächsischen Betriebe aus Handwerk und Handel, in denen Zwangsarbeitende tätig waren", wie es in der im Januar 2010 eröffneten Ausstellung "Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit - Südniedersachsen 1939-1945" behauptet wird, in der Cron & Lanz wieder einmal an prominenter Stelle mit einem übergroßen Foto vertreten ist. Oder anders ausgedrückt: Ausgerechnet die freiwilligen flämischen ArbeiterInnen von Cron & Lanz, von denen einer 1944 aus welchen Gründen auch immer zur Waffen SS wechselte, als besonders eindrückliches Beispiel für den menschenverachtenden Zwangsarbeitereinsatz in Südniedersachsen herauszustellen, ist zumindest äußerst fragwürdig Viel eher wäre da einer der Göttinger Autobetriebe oder auch eines der kleineren und größeren Bauunternehmen oder - wenn es denn eine Gastwirtschaft sein muss - der Deutsche Hof, die nachweisbar mehrere ZwangsarbeiterInnen beschäftigten, als Beispiel für kleinere und mittelständische Betriebe geeignet gewesen. Viele weitere Beispiele finden sich auf dieser Homepage.

Bleibt die Frage, warum in der Zwangsarbeiterfrage ausgerechnet auf Cron & Lanz immer wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerät. Der erste Grund dafür ist schlicht und einfach die Quellenlage: Wer sich mit Zwangsarbeit in Göttingen beschäftigt, stößt als erstes unweigerlich auf die Akte der Göttinger Polizeidirektion "Kontrolle der Ausländer 1922 bis 1955 (Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2) und darin findet sich die Anzeige von Grummes und die Vernehmungen seiner flämischen Arbeiterinnen. Wer es dann dabei belässt und nicht weiter forscht und nicht genau liest, dem erscheint dann dieses zufällig überlieferte Beispiel als besonders herausragend. Der zweite Grund ist, dass durch die ständige Wiederholung dieser ersten unreflektierten, zum Teil - wie wir oben gesehen haben - auch verfälschend wiedergebenen Forschungsergebnisse ausgerechnet ein angesehenes Göttinger Traditionsunternehmen auf die Anklagebank geriet, das jeder kennt, in dem viele schon einmal Kaffee getrunken haben und das sich wegen seiner edlen Atmosphäre und seinem gehobenen Ambiente als Projektionsfläche für wohlfeile Empörung besonders gut zu eignen scheint.

Abschließend sei noch einmal betont: Wir wissen weder wie viele ausländische Arbeitskräfte und ZwangsarbeiterInnen insgesamt bei Cron & Lanz arbeiteten, noch wissen wir, wie gut oder schlecht diese dort behandelt wurden. Nur eins ist klar: Das immer wieder herangezogene Beispiel der vier flämischen Hausgehilfinnen ist weder ein Beweis in die eine noch in die andere Richtung.

Und noch eins: Wer die Geschichte dieser vier Fläminnen auf eine Stufe mit dem Schicksal der Zwangsarbeiterinnen aus anderen Ländern, insbesondere aus Osteuropa stellt, relativiert deren Leidensgeschichte.


Literatur und Quellen:

Anzeige 1.7.1941 bis Aktennotiz 8.2.1942, Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 425-435.

Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen, Alte Einwohnerregistratur.

Aufenthaltsanzeigen von Ausländern (Arthur C., geb. 28.4.1927), Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 15 (alphabetische Ablage).

Materialsammlung zur Ausstellung "Wir haben doch die Fabriken wieder aufgebaut" - Gespräche mit alten Gewerkschaftern, Göttingen 6.-30.5.1985, hg. vom DGB, o.O., O.J., Göttingen 1985, S. 13.

Zwangsarbeit in Göttingen, ungezeichneter Artikel in: Göttinger Betriebs Express NR. 162, 12.4.2000, S. 1-5.

Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart München 2001, S. 60 f.

 


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