"Arbeitserziehungslager Liebenau"

Das "Arbeitzerziehungslager Liebenau" ging aus dem im Sommer 1940 eingerichteten "Polizei-Gewahrsamslager" der Gestapo Hannover an der Schlossstraße in Liebenau (bei Nienburg an der Weser) hervor. Es handelte sich um ein Holzbarackenlager mit Stacheldrahtumzäunung, das nachts von Scheinwerfern hell erleuchtet wurde. Hauptsächlich wurden die Häfltinge beim Bau der von der Firma Wolff & Co geplanten und von ihrer Tochterfirma EIBIA betriebenen Pulverfabrik in Liebenau eingesetzt. Zwischen sieben- und achttausend Arbeiter waren während der Zeit des Bestehens des Lagers auf dieser Baustelle eingesetzt, 75 % waren Ausländer. Durchschnittlich waren in Liebenau zwischen 500 und 700 Häftlinge inhaftiert. Die Häftlinge hatte schwerste körperliche Arbeiten zu verrichten, vor allem Erdarbeiten. Sie schachteten Gräben aus, verlegten Rohre und Kabel oder rodeten Bäume. Die Einweisungen in das Lager Liebenau erfolgten durch die Stapo-Leitstelle Hannover, die dafür weder ein Gerichtsurteil noch irgendeine andere Überpfügung durch eine von ihr unabhängige Stelle brauchte, sonderen lediglich einen Einweisungsschein ausstellen musste. Auch die Gestapo-Dienstellen in Hildesheim, Göttingen und Nienburg hatten Einweisungbefugnis. Das Lager bestand bis zur Auflösung durch die Gestapo im Mai 1943; die verbliebenen Häftlinge wurden in das neue "Arbeitserziehungslager Lahde" (bei Minden) zum Bau eines Kraftwerkes verlegte. Heute befindet sich auf dem damaligen Gelände des AEL Liebenau der Standort der St. Laurentiusschule und der Turnhalle.


An dieser Stelle befand sich das "Arbeitserziehungslager Liebenau".
Eine Gedenktafel am Schulgebäude erinnert an das Lager und die Todesopfer
(Quelle)

Grigorij Tichonowisch T., geb.17. Juli 1925, wurde im Mai 1942 nach Deutschland deportiert. Es ist nicht ganz klar, wann er in die Göttinger Gegend gekommen ist. Er berichtete von zwei Fluchtversuchen, wovon ihn einer in ein Gefängnis nach Leipzig geführt habe, spricht aber auch von einem Arbeitseinsatz in einem Ort bei Nürnberg, von wo er und ein Mitzwangsarbeiter bei einer Überprüfung wieder nach Göttingen geschickt worden seien. Fest steht nur, dass er zwischenzeitlich auch bei einem Bauern in Bovenden arbeitete und dort verhaftet wurde. Er berichtete darüber im März 2001:

"Ich habe im Gefängnis in Göttingen, dann in Hannover gesessen und wurde in Braunschweig verhört. Dann wurde ich ins Lager Liebenau gesperrt. Es gab viele Baracken, alle unter Stacheldraht. Rings um das Holzlager war ein Stacheldraht in 2 Reihen, der unter Strom stand, und es gab Türme mit Soldaten und Hunden. Das Lager wurde bewacht. Durch das Lager gingen immer Kapii, wie sie benannt wurden, aus der Westukraine. UNA UNCO [Unklar, wahrscheinlich – Ukrainska Narodna Armia - C.T.]. Wenn ein Aufseher vorbeiging und einer von uns nahm seine Mütze nicht schnell genug ab, lief ihm der Aufseher nach und schlug ihn."

Auch das Waschen konnte zu einer Quälerei ausarten: "Ziehe dich aus und leg dich auf den Bauch. Einer steht mit dem Schlauch mit kalten Wasser, der anderer mit warmen Wasser. Einer goss, die andere schrien..."

Während der Arbeit wurden die Häftlinge ständig zur Eile angetrieben:

"Wir haben Sand auf die Wagen geladen, das mussten wir sehr schnell machen. Es war sehr schwer. Ich habe zu Gott gebetet, am Leben zu bleiben und viele rohe Kartoffeln gegessen."

Der Hunger war im Lager allgegenwärtig:

"Wir hatten starken Hunger. Für einen Tag bekamen wir 0,5 l Suppe aus getrockneten Kartoffeln und Rüben, ein Stückchen Ersatzbrot und 0,5 l Kaffee. Während der Arbeit gab man uns ein Stückchen Brot. Wenn ein Krümel daneben fiel, steckte man den Finger in den Mund, machte ihn nass und hob vorsichtig den Krümel in den Mund.

Und der Tod auch:

"Es starben sehr viele Menschen. Es gab einen Wagen mit 4 Rädern. Auf jeden wurden 4 Menschen auf dem Rücken gelegt und auf jeden Rücken ein Kreuz. Wo sie begraben wurden, ist unbekannt."

Mindestens 250 Zwangsarbeiter starben in Liebenau. Auch Hinrichtungen fanden statt. Das anatomische Institut der Universität Göttingen erhielt auch Leichen aus Liebenau. Bei der Verlegung des "Arbeitserziehungslagers" nach Lahde" wurde der Galgen am Waldrand abgebaut und mitgenommen.

Der holländische Medzinstudent Lambert M., der gemeinsam mit anderen holländischen und mit französischen Medizinstudenten in den Göttinger Universitätskliniken Zwangsarbeit verrichtete erinnerte sich, dass "Liebenau" als Drohung für nicht normgerechtes Verhalten auch unter den Studenten sehr präsent war. Auch der bei seiner Deportation erst 15jährige Pole Stanislaw S., der bei Winkelhoff & Glaeser 50 kg schwere Kohlensäcke schleppen musste, erinnerte sich als 72jähriger noch genau an die ständige Drohung mit dem "KZ Liebenau". Die Zwangsarbeiter also genau wussten, was ihnen bei "Arbeitsverweigerung" oder ähnlichen Delikten drohte.

Nicht nur als ständige Drohung erlebt, sondern wirklich erlitten, hat die Haft im "Arbeitserziehungslager Liebenau" der Reichsbahnarbeiter Sergej Adrejewitsch K., der im Juni 1942 nach Göttingen deportiert worden war. Schon wenige Wochen später unternahm er einen Fluchtversuch nach Hause. Er wurde geschnappt und kam nach Liebenau, wo er von August bis November 1942 inhaftiert war. Er erinnerte sich nicht mehr an den Namen des Lagers, wohl aber daran, dass es in der Nähe von Hannover lag und dass sie mit dem Zug zur Arbeit gefahren wurden, was eindeutig für Liebenau spricht, da es dort eine Werksbahn gab, mit der die Hälftlinge zu ihren Einsatzorten gefahren wurden. Sein Bericht über seine Erlebnisse im Lager ist erschütternd:

"Es gab eine Zone in einem Tannenwald. Dort velegten wir unterirdische Kabel. Wir waren sehr erschöpft, hatten keine Kraft. Wir wurden mit Stöcken halbtot geprügelt. In jeder Gruppe waren 30 Menschen. Jeden Tag wir wurden von zwei Wachleuten (nicht Militär) und zwei bewaffneten Kapos bewacht. Jeden Tag trugen wir 2-3 verprügelte Menschen zum Lager zurück. Zur Arbeit und zurück fuhr man uns mit dem Zug. Ich kann das nicht beschreiben, weil auch nach über 58 Jahre meine Nerven das nicht aushalten. Ich war wie eine Leiche angeschwollen und habe den Tod erwartet. Die letzten sechs Tage wurde ich nicht zur Arbeit getrieben, weil ich mich nicht bewegen konnte und so geschwollen war. Ich kann mich daran nicht erinnern, weil ich davon zittere.

Entschuldigen Sie, ich möchte noch etwas erzählen: Morgens liefen wir zum Waschen, zurück, um das Essen zu kriegen, wieder antreten. Und alles unter Schlägen mit Stöcken. Beim Waschen gab es nur eiskaltes Wasser mit starken Strahl. Wir hatten keine Kräfte und konnten nicht stehen, und dann das kalte Wasser. Ich meine, jeder Zehnte ist nicht im der Lager gestorben, sondern bei der Arbeit. Ich weiß nicht, wie ich am Leben geblieben bin. Jetzt bin ich deswegen sehr krank. Nach all dem Schrecklichen, das ich übergelebt habe, wurde ich in das Werk [Reichsbahnausbesserungswerk in Göttingen - C.T.] zurückgeschickt. Dort war es für mich im Vergleich sehr gut. Eine Woche lang bin ich nicht zur Arbeit gegangen, bekam gutes Essen, bis ich auf eigenen Füße stehen konnte. Ich bin dafür sehr dankbar. Dann arbeitete ich in dem Werk bis zur Befreiung."


Quellen und Literatur:

Fragebogen Grigroij Tichonowitsch T., geb. 17.7.1925, o.D. (Eingang Ende März 2001), Fragebogen und Brief Sergej Andrejewisch K., geb. 15.9.1923, 10.12.2000, Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32 - Tollmien.

Martin Guse über die Pulverfabrik und das Arbeitserziehungslager Liebenau, von dort stammt auch das oben abgebildete Foto

Günther Siedbürger, Zwangsarbeit im Landkreis Göttingen 1939-1945, hg. vom Landkreis Göttingen, Duderstadt 2005, S. 480 ff.

Andrea Tech, Arbeitserziehungslager in Nordwestdeutschland 1940-1945, Göttingen 2003, S. 245-259.

Rolf Wessels, Das Arbeitserziehungslager in Liebenau 1940-1943, Historische Schriftenreihe des Landkreises Nienburg/Weser Band 6, Nienburg/Weser 1990, insb. S. 20, S. 22, S. 27, S. 39 f., S. 48 und S. 49.

 


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