NS-Zwangsarbeit: Eckart Schörle, Verhandlungen der Albanikirchengemeinde mit der Firma Feinprüf über die Anmietung des Gemeindesaals als Unterkunft für Zwangsarbeiter

Ausschnitt aus Eckart Schörle: Zwangsarbeit in Göttinger Industriebetrieben, in: "Leiden verwehrt Vergessen", Zwangsarbeiter in Göttingen und ihre medizinische Versorgung in den Universitätskliniken (hg. von Volker Zimmermann), Göttingen 2006, S. 119-135, hier S. 129-133.

Ende November 1942 trat Feinprüf mit dem Antrag an den Kirchenvorstand heran, "die unteren Räume des Gemeindehauses zur Unterbringung von ausländischen Rüstungsarbeitern benutzen zu dürfen." Pastor der St. Albani Gemeinde war damals Albrecht Saathoff, ein überzeugter Nationalsozialist, der zeitweise Mitglied der "Deutschen Christen" war, sich dann aber von ihnen distanzierte.

Pastor Saathoff versuchte anfangs die Vermietung des Gemeindehauses zu verhindern. Da jedoch bei einer Weigerung die Gefahr der Beschlagnahmung drohte, wandte man sich an den Rechtsanwalt Eckels. Dieser äußerte sich dazu in einem Schreiben an Saathoff vom 14. Dezember 1942, dass das Reichsleistungsgesetzes nur die Kirchen und andere dem öffentlichen Gottesdienst gewidmeten Gebäude von der Leistungspflicht befreie. Damit sei zwar die Kirche St. Albani geschützt, nicht aber das Gemeindehaus, da dieses grundsätzlich nicht zur Abhaltung von Gottesdiensten diene. Auf Grund der möglichen Beschlagnahmung riet in der Folge auch das Landeskirchenamt in Hannover von einem Einspruch beim Oberbürgermeister Gnade vorerst ab: "Unter den berichteten Umständen sehen auch wir keine rechte Möglichkeit, der Inanspruchnahme der Räume des Gemeindehauses entgegenzuwirken."

Bereits am 11. Januar 1943 wurde der Mietvertrag mit der Firma "Feinprüf, Feinmess- und Prüfgeräte G.m.b.H." unterzeichnet. Die Gemeinde vermietete an den Rüstungsbetrieb die Räume im Erdgeschoss, die mit einer Toilette, 60 Stühlen, fünf kleinen Tischen, zwei großen Tischen und einem Klapptisch ausgestattet waren. Die Miete wurde mit 500 RM monatlich festgelegt. Als Beginn der Mietzeit wurde rückwirkend der 8. Dezember 1942 vereinbart. Außerdem wurde ein Ende des Mietvertrages festgelegt, "sobald die Räume zu dem vorgesehenen Zweck nicht mehr benötigt werden, oder der Mieterin andere passende Ersatzräume zur Verfügung stehen, spätestens mit der Beendigung des jetzigen Krieges."

Einige Monate, nachdem die Fremdarbeiter das Gemeindehaus bezogen hatten, bemühte sich Saathoff bei Oberbürgermeister Gnade um eine Beendigung der Belegung. In einem Brief vom 7. Mai 1943 klagte er: "Bei unseren Verhandlungen ist damals gesagt worden: Es müssen im Lauf des Winters noch Hunderte von ausländischen Arbeitern eingestellt werden – von einer Seite wurde die Zahl 1300 genannt – die müssen alle untergebracht werden, und wenn das Albanigemeindehaus auch jetzt nicht in Anspruch genommen würde, so geschehe es ganz sicher im Februar. Es wurde noch gesagt: Alle verfügbaren Räume, auch grössere Läden und Geschäftsräume werden beansprucht. Nun ist sicherlich durch Schliessung mancher Geschäfte Raum zur Verfügung. Andererseits habe ich nicht gehört, dass noch eine grosse Anzahl von Facharbeitern eingestellt ist. Darum möchte ich anfragen, ob es nicht möglich ist, die im Gemeindehaus untergebrachten Facharbeiter jetzt in absehbarer Zeit anderswo unterzubringen und das Gemeindehaus wieder frei zu geben. Es ist uns damals zugesichert, dass es geschehen solle, sobald es möglich sei." Auch dieser vorsichtig formulierte Protest Saathoffs sollte keinen Erfolg haben.

Der Oberbürgermeister leitete das Schreiben an den Kreisobmann Ehelebe weiter, welcher sich mit der Firma Feinprüf in Verbindung setzte. Feinprüf lehnte die von Saathoff geäußerte Bitte um Verlagerung der Franzosen mit der Bemerkung ab, "trotz ehrlichem Bemühen eine Ausweichmöglichkeit nicht gefunden zu haben." Begründet wurde dies unter anderem mit Sicherheitsbedenken: "Eine Umsetzung in mehrere kleinere Läger ist insbesondere aus Gründen der notwendigen straffen Beaufsichtigung erfahrungsgemäß nicht vertretbar. Die sich daraus für die Bevölkerung Göttingens und den Betrieb ergebenden Unzuträglichkeiten sind unseres Erachtens schwerwiegender als die durch die Belegung des Albanihauses für die Gemeinde entstandene räumliche Einschränkung." Der Kirchenvorstand war gegenüber dem Rüstungsbetrieb kaum in der Lage, einer Räumung des Gemeindehauses Nachdruck zu verleihen. Die Prioritäten zwischen kirchlichem Gemeindeleben und Rüstungsindustrie waren eindeutig. Die Nutzung des Gemeindehauses durch Feinprüf konnte mit diesem Schreiben weiterhin gesichert werden.

Des weiteren wurde in dem Schreiben von Feinprüf erwähnt, dass man jederzeit weitere 80 französische Arbeitskräfte erwarte, die im Barackenlager Eiswiese untergebracht werden sollten: "Das augenblicklich noch bestehende Barackenlager Eiswiese muss für die als Sofortbedarf beim Arbeitsamt angeforderten und uns bereits des öfteren als 'in den nächsten Tagen eintreffend' gemeldeten weiteren 80 französischen Arbeitskräfte freigehalten werden." Ob die von Feinprüf angeforderten zusätzlichen Arbeitskräfte tatsächlich eintrafen, kann nicht mit Sicherheit bestätigt werden. Das Lager auf der Eiswiese, wo diese hätten untergebracht werden sollen, wurde von der bereits erwähnten Göttinger "Küchenvereinigung" betrieben. Im Sommer 1944 waren dort mindestens 198 Zwangsarbeiter – Franzosen, Flamen und Holländer – untergebracht.


Albanigemeindehaus fotografiert von einem französischen Zwangsarbeiter


Französischer Zwangsarbeiter vor der Albanischule


Gruppe von französischen Arbeitern vor dem Gemeindehaus, Albanikirchhof 1 a

Am 21. Oktober 1944 wandte sich Saathoff in einem Schreiben direkt an [den Betriebsleiter Oskar - C.T.] Mahr, mit der Bitte, sich für eine Verbesserung der Zustände im Gemeindehaus einzusetzen. Er beklagte, dass frühere Absprachen, wie die Schaffung einer klaren Hausordnung, nicht eingehalten worden seien. Auch sei zugesichert worden, dass die gesamte Verpflegung der Arbeiter außerhalb der Räume des Gemeindehauses stattfinden würde. Schon früh sei aber mit der „Kocherei im Hause“ begonnen worden, und außerdem sei der Gas- und Stromverbrauch erheblich angestiegen. Desweiteren beschwerte sich Saathoff über den Lärm, der seine Konfirmandenstunden störe, und die starke Verschmutzung des Hauses.

Einen Durchschlag des Schreibens sandte Saathoff an den Oberbürgermeister Gnade. Das 1. Polizeirevier wies die Beschwerden Saathoffs in einem internen Bericht vom 31. Oktober 1944 als "zum gewissen Teil übertrieben" zurück: "In dem Gemeindehaus wohnen z. Zt. 40 Franzosen, die bei der Fa. Feinprüf beschäftigt sind und zum Teil Tag und Nacht arbeiten. Dadurch kommt es, dass des Morgens früh die Räume nicht gereinigt werden, sondern erst gegen Mittag, weil ein gewisser Teil der Leute, die die Nacht gearbeitet haben, am Tage schlafen müssen. Es ist aber Sorge getragen, daß für die Zukunft noch mehr auf Sauberkeit geachtet wird. Der Werkangestellte Rehbein, der die Beaufsichtigung der Lager hat, wird das nötige veranlassen. Auch von hier aus wird laufend kontrolliert werden." Außerdem wird bemerkt: "Nach Angaben des Werkangestellten Rehbein, kommt es dem Kirchenvorstand und Pastor Saathoff darauf an, die Französischen Arbeiter möglichst bald heraus zu bekommen. Dies sei auch nicht das erste Schreiben."

Nach dem Kriegsende in Göttingen wandte sich Saathoff in einem Schreiben vom 1. Mai 1945 an die amerikanische Militärregierung, mit der Bitte, das Gebäude wieder den Mitgliedern der Albani-Gemeinde zurückzugeben. Darin erwähnt er, dass die Räume seit Dezember 1943 von etwa 50 französischen Arbeitern belegt worden seien. Damals habe man keine andere Wahl gehabt, weil man sonst gezwungen worden wäre.

Am 13. Mai 1945 wandte sich Saathoff an Mahr und beklagte die Verwüstung des Gemeindehauses, bei der auch etwa 20 Fensterscheiben zerstört wurden, verbunden mit der Bitte, die ursprünglichen Zustand rasch wiederherzustellen: "Heute Mittag war ich im Gemeindehaus im großen Saal und sah, wie ein Franzose die Tür eines wohl ihrer Firma gehörenden Kleiderschrankes zu Brennholz verkleinerte! Verwüstung überall – den Eindruck hat man!" Am folgenden Tag war das Gemeindehaus schließlich geräumt. Im Protokollbuch notierte Saathoff: "Das Gemeindehaus ist jetzt von den französischen Facharbeitern frei – sie haben viel mutwillig zerstört. Das Gemeindehaus bedarf einer gründlichen Erneuerung. Vertragsmässig hat die Firma Feinprüf sie zu leisten. Rechtsanwalt Föge soll mit der Vertretung der Interessen der Gemeinde für diese Erneuerung beauftragt werden." Saathoff bemühte sich auch nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in der Linie um die Interessen der Kirchengemeinde. Für die Zerstörungen an Mobiliar und Gebäude durch die befreiten Zwangsarbeiter zeigte Saathoff keinerlei Verständnis. Er versuchte nun v.a. eine erneute Beschlagnahmung durch die Militärregierung abzuwenden.

Anlass des Schreibens war die Befürchtung, dass das mittlerweile geräumte Gemeindehaus nun von der Militärregierung in Anspruch genommen werden könnte: "Nun ist das Haus endlich frei geworden. Bevor es instand gesetzt wird, möchte der Kirchenvorstand die Zusicherung von der Militärbehörde haben, dass es nicht von neuem von dieser mit Beschlag belegt wird." Der neue Oberbürgermeister befürwortete das Anliegen und leitete es an die Militärregierung weiter.

Quelle: Kreiskirchenarchiv Göttingen, Pfarramt Albani, A 521.3 Gemeindehaus Vermietung, und HS 2.3, Protokollbuch 1933-1970 (Eintrag 14.5.1945).

Fotos von Pierre G., geb. 24.3.1922, seit 15.3.1943 bei Feinprüf, überlassen von Cécile Bonnet, Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32- Tollmien (Fotos Franzosen).

 


 Impressum