"Göttinger Volksheim"

Im "Göttinger Volksheim" befanden sich die Büros der Göttinger Gewerkschaften, hier trafen sich die Arbeiterkulturvereine zur Schulung, zum Sporttreiben und zum Feiern, und es gab auch eine Arbeiterbibliothek im Haus.

Die Gaststätte mit zwei Sälen, verschiedenen kleineren Versammlungsräumen, einer Kegelbahn und einem großen Konzertgarten war ein viel besuchter Treffpunkt für die Göttinger Arbeiter. Dort fanden die Versammlungen des SPD-Ortsverein, des Kreisvereins und die Unterbezirksversammlungen statt. Regelmäßig freitags trafen sich im "Volksheim" immer die Betriebsräte aller Göttinger Betriebe (von Sartorius über Spindler & Hoyer, die Aluminiumwerke bis Zeiss-Winkel) und pflegten einen sehr nützlichen Austausch von Betrieb zu Betrieb. Im Nebengebäude des "Volksheims" befand sich die Druckerei der SPD-Zeitung "Volksblatt" und die "Soziale Bauhütte" ein genossenschaftlicher Bauverein.

Mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten endete das Göttinger Gewerkschaftsleben im "Volksheim": Am 2. Mai 1933 wurde das Gewerkschaftshaus besetzt und das Volksheim von der Deutschen Arbeitsfront übernommen. Am 5. Mai holte die SA sechs Göttinger SPD- und Gewerkschaftsfunktionäre aus ihren Wohnungen und transportierte sie wie Gefangene ins "Volksheim". Dort wurden sie einzeln in den Keller geführt und mit Ochsenziemern so brutal geschlagen, dass ihre Schreie im ganzen Haus zu hören waren. Am 19. Mai schließlich wurden die benachbarte Druckerei von Oberbürgermeister Albert Gnade den nationalsozialistischen "Göttinger Nachrichten" übergeben. Diese konnten dann 1936 - inzwischen als "Südhannoversche Zeitung" firmierend - den gesamten Gebäudekomplex (einschließlich der Gastwirtschaft) für einen Spottpreis erwerben. Der Gastwirtschaftsbetrieb lief auch nach der Enteignung durch die Nationalsozialisten weiter, doch offenbar wenig zufriedenstellend. Man bat daher 1936/37 den schon zu Gewerkschaftszeiten tätigen Gastwirt Willy Brüger die Gastwirtschaft wieder zu übernehmen. Dieser lehnte das Ansinnen zwar ab, doch sein Sohn Ludwig Brüger, der Repressionen befürchtete und sich in einer schwierigen ökonomischen Lage befand, erklärte sich bereit, die Gastsstätte und die dazugehörige Wohnung im Obergeschoss zu übernehmen. Nach dem Ludwig Brüger dann zum Wehrdienst eingezogen worden war, waren seine Schwester und seine Mutter für den Gastwirtschaftsbetrieb verantwortlich und traten auch gegenüber der Reichsbahn, der Südhannoverschen Zeitung und anderen neuen Nutzern des ehemaligen Gewerkschaftsgebäudes als Verhandlungspartner auf.

In gewissem Sinne lässt sich sagen, dass die Einrichtung eines Lagers für ausländische Arbeiter im ehemaligen "Göttinger Volksheim", einer inneren Logik folgte: Nach der Enteignung der organisierten Göttinger Arbeiterschaft, der Misshandlung ihrer Führer und der Zweckentfremdung von Gebäuden und Inventar für die nationalsozialistische Propaganda war die Einrichtung eines Lagers für die im Kriegsverlauf aus ganz Europa nach Deutschland verbrachten Zwangsarbeiter im ehemaligen Gewerkschaftsbesitz nur eine letzte logische Konsequenz.

 

 

 


 
Quellen:

Akte Bauamt Abt. I Fach 16 Nr. 52, passim, Stadtarchiv Göttingen.

Volksblatt Göttingen, Stadtarchiv Göttingen.

Zeichnung und Foto 1960er Jahre, Fotoarchiv Städtisches Museum Göttingen

Volksheim Skizze 1925

Die Skizze stammt aus dem Göttinger Volksblatt vom 1. Mai 1925. Das Fachwerkgebäude links ist das Göttinger Volksheim, später Gaststätte Sültebeck. In der Skizze sind alle Gebäude nach vorn in eine Ebene geklappt. Das Gaststättengebäude ganz links bildete eigentlich einen 45-Grad-Winkel zum Saalbau.

 

Volksheim Anzeige

Anzeige aus dem Göttinger Volksblatt vom 1. Mai 1925.

 

Volkblattdruckerei

Zeichnung der Göttinger Volksblattdruckerei 20er Jahre

 

Gebäde Volksblattdruckerei 1960er Jahre

Das Gebäude der Volksblattdruckerei in den 1960er Jahren.

 

Literatur:

Jochachim Bons u.a., "Bohnensuppe" und Klassenkampf. Das Volksheim. Gewerkschaftshaus der Göttinger Arbeiterbewegung von der Entstehung im Jahre 1921 bis zu seiner Zerstörung 1944, Göttingen 1986, S. 25-56, S. 75 f.

Cordula Tollmien, Nationalsozialismus in Göttingen (1933-1945), Dissertation Göttingen 1999, S. 99 f., S. 107 f.


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