Sonderrecht für Tschechen Juli/August 1939

Formal galten die tschechischen Einwohner des Protektorats als "Inländer besonderer Art", so jedenfalls die offizielle Auslegung des Führererlasses vom 16. März 1939. Mit Erlass vom 26. Juni 1939 wurde die Polizei jedoch angehalten, gegen Tschechen bei "Arbeitsverweigerung", politischer Betätigung oder "sonstiger staatsfeindlicher Einstellung" mit aller Schärfe vorzugehen und gegen sie "Schutzhaft" zu beantragen. Wenige Tage später, am 4. Juli 1939, wurden diese Bestimmungen dann ausgeweitet auf alle tschechischen Arbeitskräfte, die Diebstähle begangen, geplündert, Befehle verweigert oder sich sonstiger krimineller Delikte schuldig gemacht hatten. Schutzhaft für Diebstahl – damit war ein Sonderrecht geschaffen, das die Tschechen tendenziel außerhalb der deutschen Rechtsordnung stellte.
Gegen alle offzielle Verlautbarungen war damit klar, dass den Tschechen kein Status innerhalb der deutschen "Volksgemeinschaft" und noch nicht einmal an deren Rand zuerkannt wurde: In den SD-Berichten wurden die Tschechen denn auch ab Jahresende 1939 konsequenterweise durchweg unter den Meldungen über "ausländische Arbeitskräfte" genannt und auch in Reichsstatistiken über den Arbeitseinsatz wurden sie künftig unter "Fremdarbeiter" subsumiert.

Nach einem Sondererlasses des Reichsarbeitsministeriums vom 5. August 1939 war Tschechen das Verlassen ihres Arbeitsplatzes nicht mehr ohne Zustimmung des zuständigen Arbeitsamtes erlaubt. Um den Erfolg weiterer Anwerbungen im Protektorat durch das Bekanntwerden dieser Bestimmung nicht zu gefährden, wurde dieser Erlass nicht veröffentlicht. Außerdem wurde durch Verordnung der Protektoratsregierung vom 25. Juli 1939 eine "allgemeine Arbeitspflicht zur Durchführung besonderer staatspolitischer Aufgaben" für alle Männer zwischen 16 und 25 Jahren eingeführt. Die Dienstpflicht galt für einen Zeitraum von einem Jahr, konnte aber auf zwei Jahre verlängert werden; bei Verweigerung konnten die Arbeitsämter Haftstrafen und/oder Geldbußen verhängen. Dies war die erste eine Folge von Dienstverpflichtungen zur Aushebung ganzer Jahrgänge. Obwohl in dem Gesetz eine Arbeitsaufnahme in Deutschland gar nicht explizit vorgesehen war und die Protektoratsregierung diese unter Hinweis auf die Priorität des einheimischen Arbeitskräftebedarf auch ablehnte (seit Sommer 1939 herrschte im Protektorat Vollbeschäftigung und in einigen Branchen bereits Arbeitskräftemangel), wurde nur einen Tag nach Erscheinen des Gesetzes in einer Durchführungsverordnung angeordnet, das Gesetz auch als Grundlage der Anwerbungen nach Deutschland zu nutzen. Nicht die Interessen der Protektoratsregierung, so hatte das Reichsarbeitsministerium bereits Ende Mai festgestellt, seien ausschlaggebend, sondern allein der Arbeitskräftebedarf des Reiches.

Einwohnermeldekarte eines Tschechen

Einwohnermeldekarte eines Tschechen, der seit September 1940 bei verschiedenen Göttinger Schlachtern arbeitete (vorher war er in Northeim gewesen) und - nach einer Notiz auf dieser Karte - am 20. Oktober 1942 verhaftet und in ein Konzentrationslager eingeliefert wurde.

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Quellen:

Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen.

Literatur:

Ulrich Herbert, Fremdarbeiter - Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin / Bonn 1985, S. 63.

Miroslav Kárný, Der „Reichsausgleich“ in der deutschen Protektoratspolitik, in: Ulrich Herbert (Hg.), Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945, Essen 1991, S. 26-50, hier S. 26, S. 29 f.

Stephan Posta, Tschechische „Fremdarbeiter“ in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft, Dresden 2002., S. 68, S. 72 f, S. 115.


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