NS-Zwangsarbeiter: Erfassungsfotos

  • Erfassungsfotos 1: Ein umfassender Bestand von Passfotos findet sich in den sog. Aufenthaltsanzeigen eines Ausländers, durch die "angeworbene" oder zur Arbeit "dienstverpflichtete" westliche Ausländer (in erster Linie Franzosen, Niederländer, Belgier und auch Italiener) erfasst wurden. Diesen Anzeigen sollte auch ein "Lichtbild des Ausländers" beigegeben werden, was allerdings nicht in allen Fällen geschah. Dennoch ist in diesem Bestand eine Vielzahl von Passfotos westlicher Zwangsarbeiter überliefert, die allerdings nach Größe und Aufnahmeperspektive so unterschiedlich sind, dass man wohl davon ausgehen kann, dass diese Fotos nicht in Deutschland angefertigt wurden, sondern von den Zwangsarbeitern aus ihrer Heimat mitgebracht worden waren. Es handelt sich dabei also um "normale" staatliche Registrierungsfotos, die nicht schon durch die Aufnahme, sondern erst durch den Verwendungszweck ihre diskriminierende Funktion erhielten. Für uns heute geben sie den sonst nur als Zahlen und Registriernummern bekannten arbeitenden Menschen ein Gesicht.
  • Passfoto Aufenthaltsanzeige Franzose

  • Erfassungsfotos 2: Dies gilt auch für den zweiten zusammenhängenden Bestand von Fotos, der sich im Stadtarchiv Göttingen befindet: für die vornehmlich von "Ostarbeiterinnen" wahrscheinlich direkt nach der Ankunft angefertigten Fotos für die Betriebskartei der Firma Winkel in Göttingen. Auch diese Fotos geben den sehr jungen, zumeist aus der Ukraine verschleppten Zwangsarbeiterinnen für uns Heutige ein eindrückliches Gesicht. Bei dieser Fotoserie ist aber der funktionell-diskriminierende Aufnahmesituation deutlich erkennbar. Dies waren keine eigenen Fotos der Abgebildeten mehr. Die meisten von ihnen bekamen diese Fotos damals auch nicht zu Gesicht, so dass viele von ihnen diese Fotos als "Begegnung mit ihrer unglücklichen Jugend" nicht ohne große innere Erschütterungen erstmals gesehen haben, nachdem wir sie ihnen im Zusammenhang mit dem Nachweisverfahren für ihre Ansprüche nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 12. August 2000 zugeschickt haben. Äußeres Zeichen dieser Diskriminierung ist das auf vielen Fotos mit abgebildete "OST"-Zeichen, das die Zwangsarbeiterinnen aus der Sowjetunion zu tragen verpflichtet waren.
  • Foto für Arbeitskarte der Firma Winkel

  • Erfassungsfotos 3: Weitere zusammenhängende Bestände von Erfassungsfotos anderer Betriebe oder aus polizeilichen Akten sind für Göttingen nicht erhalten. Dennoch sind einige zusätzliche Erfassungsfotos disparater Provenienz über die ehemaligen Zwangsarbeiter selbst wieder zu uns nach Göttingen zurückgekommen. Sie waren von den ehemaligen ZwangsarbeiterInnen aufbewahrt und - das zeigen die Begleitbriefe - oft als einzige Erinnerung an die Kriegszeit / an die Jugend wie ein Schatz gehütet worden. Diese Fotos, die nach Art der Darstellung, wie insbesondere das nebenstehende Beispiel zeigt, häufig an Aufnahmen für eine Verbrecherkartei erinnern (und wahrscheinlich auch erinnern sollten), erfuhren also in einem zweiten Akt eine private Aneignung, wurden obwohl ursprünglich für Täterzwecke erstellt von den Opfern in selbstbestimmten Besitz genommen. Dies zeigen die Widmungen auf den Rückseiten ebenso wie das ausgekratzte "OST"-Abzeichen, das nicht nur als Zeichen der Diskriminierung verschwinden musste, sondern auch um den "Aufenthalt" in Deutschland, für den in der Sowjetunion weitere Verfolgung zu gewärtigen war, zu verschleiern.
    Viele Passfotos zu Registrierungszwecken wurden in Göttingen offenbar von dem Fotografen Hübner in der Groner Landstraße 29 gemacht, eventuell auch bedingt dadurch, dass sein Geschäft in unmittelbarer Nähe einiger großer Firmen bzw. Lager lag (Winkel, Ruhstrat, Schöneis). Das Reichsbahnausbesserungswerk beschäftigte wahrscheinlich einen eigenen Fotografen.

     

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  • Foto für Arbeitskarte oder ähnliches


    Quellen:

    Aufenthaltsanzeigen für Ausländer, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 124 Nr. 15.

    Carl Zeiss Werk Göttingen (damals Winkel) - Arbeitskarten ehemaliger Zwangsarbeiter 1941-1945, Stadtarchiv Göttingen, Kleine Erwerbung 192.

    Fotos aus dem Privatbesitz ehemaliger Zwangsarbeiter, Stadtarchiv Göttingen, Sa. 32- Sammlung Tollmien (Foto-CD).


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