"Besondere Vergünstigungen, die manchem Kriegsgefangenen vielleicht als wünschenswert erscheinen mögen, kommen freilich gegenwärtig nicht mehr in Frage" - Propaganda gegen französische Kriegsgefangene

Wie begehrt die französischen Kriegsgefangene als Arbeitskräfte waren, lässt sich an dem unermüdlichen Einsatz der Göttinger Stadtverwaltung, diese nach Göttingen zu holen, ablesen. Dass man auf sie als Arbeitskräfte angewiesen war, bedeutete jedoch nicht, dass man die Gefangenen gut behandelte. Unter der Überschrift "Barbarische Behandlung" berichtete das Göttinger Tageblatt schon Mitte Juli 1940 über ein allerdings nicht in Göttingen gelegenes Kriegsgefangenenlager:

"Fünf Stunden angestrengter körperlicher Tätigkeit wurden verlangt, Barackenbau, Steine schleppen usw. und dazu als Mittagessen eine Kartoffel und ein kleines Stück Klippfisch. Morgens und abends gab es je zwei Scheiben Brot, etwas Margarine und eine Tasse Buttermilch. Um etwas aufs Brot zu haben, wurde Schnittlauch und Gras kleingehackt und mit Salz aufs Brot gelegt. War die Verpflegung schon unter aller Würde, so war zum Waschen und zur Körperpflege so gut wie überhaupt keine Gelegenheit. Ein am Lager vorbeifließendes Rinnsal mußte ausreichen für 400 Personen."

Gut sind wir sind vor allem über die Verhältnisse im Lager Sültebeck informiert und da kommt man nicht umhin zu sagen, dass die obige Beschreibung ziemlich genau auch die Zustände im einzigen städtischen Kriegsgefangenenlager in Göttingen wiedergibt. Natürlich gab es in Göttingen keinen Klipfisch zu essen, das Lager war kleiner und die Waschgelegenheit bestand nicht aus einem fließenden Rinnsal, dennoch: Auch in Sültebeck war das Essen schlecht und nicht ausreichend, die Hygiene war haarsträubend und eine Waschgelegenheit bestand nur draußen; sie war zwar überdacht, aber Frost und Kälte konnten ungehindert eindringen. Zwar bauten die Kriegsgefangenen des Lages Sültebeck keine Baracken (dies taten sie allerdings im Lager Lohberg und auch bei den Aluminiumwerken), dafür betrug ihre Arbeitszeit aber auch nicht nur fünf Stunden, sondern nach offiziellen Angaben mindestens acht Stunden, faktisch und im Laufe des Krieges zunehmend wohl eher mehr (der oft langen Arbeitsweg nicht mit gerechnet). Die Arbeit war anstrengend und dreckig und die Behandlung durch deutsche Arbeitskollegen und die Wachmannschaften häufig schikanös.

"… der Kriegsgefangene wird anständig und als Mensch behandelt. Er schläft in Gemeinschaftssälen, er bekommt eine ausreichende schmackhafte Kost, bei deren Zubereitung auf die Nährwerte Bedacht genommen wird; er hat die Wohltat einer angemessen bezahlten Arbeitsmöglichkeit, er kann sich in seiner Freizeit mit seinen Kameraden unterhalten usw. […] alles in allem hat kein Kriegsgefangener in Deutschland Grund und Anlaß sich über sein Los und seine Behandlung zu beklagen. Deutschland behandelt auch unter Beachtung des Grundsatzes "Feind bleibt Feind" seine Kriegsgefangenen so, wie es seinem hohen Kulturstand entspricht. Man könnte sich außerhalb des nationalsozialistischen Deutschland an dieser Art der Kriegsgefangenenbehandlung ein Beispiel nehmen."

Dies schrieb das Göttinger Tageblatt am 22. Oktober 1940 in einem Artikel mit dem Titel "Armee hinter Stacheldraht" und natürlich wurde in dem oben zitierten Artikel von Mitte Juli 1940 nicht über ein Kriegsgefangenenlager in Deutschland, sondern über ein Lager für deutsche Kriegsgefangene in Norwegen berichtet; ein ganz ähnlicher Bericht ("In der Hölle von Dünkirchen") war zwei Tage zuvor auch über ein Gefangenenlager in Frankreich erschienen. Einen kritischen Bericht über die schlechte Behandlung französischer oder anderer Kriegsgefangener in Deutschland war im Göttinger Tageblatt des ersten Kriegsjahre ja auch sicher nicht zu erwarten. Stattdessen wurden die Leser nicht nur mit den anfangs zitierten Jubelberichten, sondern auch regelmäßig und ausführlich mit Horrornachrichten über die französischen (und auch britischen) "Barbaren" beglückt: "Barbaren", die sich unter Führung der farbigen marokkanischen Soldaten der französischen Armeen in den Lagern, die natürlich unter "jüdischer Verwaltung" standen, an wehrlosen deutschen Kriegs- oder Zivilgefangenen austobten - eine heute leicht zu durchschauende propagandistische Replik auf die durch den ersten Weltkrieg verstärkte sehr populäre französische Auffassung vom deutschen "Barbarentum", die nur Frankreich selbst als Kulturnation gelten ließ, gepaart mit geradezu phobisch anmutenden Ängsten vor dem "schwarzen Mann" - damals aber waren diese Greuelmeldungen des Göttinger Tageblatts faktisch eine Einstimmung der Bevölkerung darauf, wie die französische Kriegsgefangenen hier in Deutschland zu behandeln seien, nämlich nicht "anständig und als Mensch", sondern so:

"Uns scheint es angebracht, daß man dieser typischen französischen Mentalität nicht mehr mit zurückhaltender Vornehmheit und anständiger Gesinnung begegnen, sondern diesen vertierten Bestien einmal mir ihren eigenen Methoden wieder eine Vorstellung von menschlichen Gefühlen beibringen sollte."

Trotz des überwältigenden deutschen Sieges und des in den Göttinger-Tageblatt-Artikeln ständig beschworenen Großmut des Siegers wurde damit ungeschminkt und direkt ein Vergeltungsgedanke formuliert, der in Verbindung mit der ebenfalls immer wieder zitierten Parole "Feind bleibt Feind" seine Wirkung im alltäglichen Umgang zwischen Franzosen und Deutschen nicht verfehlt haben kann.

So findet sich die "Feind ist Feind" Parole in dem Göttinger-Tageblatt-Propaganda-Artikel "Armee hinter Stacheldraht" vom 22. Oktober 1940 ebenso wie der Vergeltungsgedanke, wenn auch in abgemilderter Form:

"Besondere Vergünstigungen, die manchem Kriegsgefangenen vielleicht als wünschenswert erscheinen mögen, kommen freilich gegenwärtig, nachdem genug und übergenug Fälle schlechter Behandlung deutscher Kriegsgefangener bekannt geworden sind, nicht mehr in Frage."

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Quellen:

Stadtarchiv Göttingen, Akten Bauamt Abt. I Fach 16 Nr. 48 und Nr. 52, passim (Das Zitat im Titel stammt aus: Merkblatt des Kriegsgefangenen Mannschaftsstammlager (Stalag XI B), Fallingbostel für Unternehmer bei Einsatz westlicher Kriegsgefangener 28.6.1940, Stadtarchiv Göttingen, Bauamt Abt. I Fach 16 Nr. 48, o.P.).

Göttinger Tageblatt 13./14.7.1940 ("Barbarische Behandlung gefangener deutscher Flieger", Zitat 1),

Göttinger Tageblatt 22.10.1940 ("Armee hinter Stacheldraht", Zitat 2 und),

Göttinger Tageblatt 12.7.1940 ("In der Hölle von Dünkirchen").

Göttinger Tageblatt 16.8.1940 ("Leidensweg reichsdeutscher Zivilgefangener in Frankreich", Zitat 3).

Literatur:

Cordula Tollmien, Zwangsarbeiter in Ämtern, Dienststellen und Betrieben der Göttinger Stadtverwaltung während des Zweiten Weltkriegs (Fassung ohne Namensnennungen), Göttingen Dezember 2000 (Manuskript im Stadtarchiv Göttingen), S. 4-18.

 


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