R. Winkel GmbH (Zeiss-Winkel), Göttingen, Königsallee 19/21

Die optisch-mechanische Werkstätte Winkel wurde 1857 von Rudolf Winkel in Göttingen gegründet und machte sich vor allem durch den Bau von Mikroskopen schnell einen guten Namen. 1874 zog die Firma von der Goetheallee in eigene Räume am Düsteren Eichenweg 9 (Ecke Baurat-Gerber-Straße). 1890 hatte die Winkelsche Werkstatt etwa 30 Arbeitskräfte, sie exportierte nach England, Österreich, Rußland und in die USA und nahm auch an der Weltausstellung in Paris teil. 1905 nach dem Tod von Rudolf Winkel führten seine drei Söhne, Carl, Hermann und Albert Winkel den Betrieb weiter.
1907 trat mit Georg Hausmann ein neuer Teilhaber und käufmännischer Leiter in die Firma ein, der das Fertigungsprogramm erheblich erweiterte und die Serienfabrikation einführte. Unter seiner Leitung wurd der Neubau der Fabrik in der Königsallee errichtet – bis heute befindet sich die Firma am gleichen Standort. 1911 schließlich wurd die Firma in eine GmbH umgewandelt und die Carl-Zeiss-Stiftung trat als Hauptgesellschafter in die Firma ein. Der Betrieb wurde wesentlich erweitert, die Firma hatte zu diesem Zeitpunkt 130 Mitarbeiter und bei Winkel wird als erstem Göttinger Betrieb nach dem Vorbild der Carl-Zeiss-Stiftung schon 1911 der Achtstundentag eingeführt.
1923 wird die Winkel GmbH durch eine Reihe von Neubauten noch einmal erweitert und 1935 hatte die Firma, die seit 1934 Wehrmachtsbetrieb war und optische Präzisionsinstrumente für das Heer herstellte, dann 360 Mitarbeiter.

Ausländische Arbeiter / Zwangsarbeiter bei Winkel:

  • Im Februar 1941 kam eine kleine Gruppe von tschechischen Zwangsarbeiterinnen, nach neuesten Schätzungen zwischen 10 und 15 Frauen - die ersten weiblichen Zwangsarbeiterinnen in Göttingen in der Industrie - zu Winkel.

  • Im Februar 1942 arbeiteten nachweislich mindestens drei französische Kriegsgefangene bei der Firma Winkel, die gemeinsam mit einer größeren Gruppe von insgesamt mindestens 17 weiteren französischen Kriegsgefangenen aus einem Kriegsgefangenenlager in Holtensen - nach dem im April 1943 mit der Vichy-Regierung ausgehandelten Abkommen - im August 1943 in zivile Zwangsarbeiter umgewandelt wurden (Transformation). Wegen der großen Zahl von Kriegsgefangenen aus dem Lager Holtensen, die im August 1943 als Zivilarbeiter zu Winkel wechselten, steht zu vermuten, dass Winkel vor dem August 1943 das Lager in Holtensen für seine französischen Kriegsgefangenen nutzte. Nach der "Transformation" waren die französischen Zwangsarbeiter in der von der Firma Schöneis übernommenen Baracke in der Gronerlandstraße 55 untergebracht.

  • Am 26.10.1942 kam ausweislich der überlieferten Betriebskartei von Winkel eine erste Gruppe von 24 "Ostarbeiterinnen" zu Winkel; es folgte eine zweite Gruppe von 29 "Ostarbeiterinnen" am 9.11.1942 und eine dritte von 35 "Ostarbeiterinnen" am 10.12.1942. Weitere 22 "Ostarbeiterinnen" kamen am 29. und 30. August 1944. Dabei handelte es sich um "Ostarbeiterinnen", die zuvor in Göttinger Haushalten gearbeitet hatten und nun in die Rüstungsindustrie umgesetzt wurden. Insgesamt arbeiteten ausweislich einer Statitstik vom 31.12.1944 117 "Ostarbeiterinnen" bei Winkel.

  • Zwischen Dezember 1942 und Februar 1943 kam eine größere Gruppe von belgischen Umschülern nach Göttingen zu Winkel. Die meisten von ihnen waren bis auf wenige Ausnahmen Wallonen.

  • Auch holländische Umschüler arbeiteten ab Dezember 1942 für Winkel. Eine weitere Gruppe von Umschülern kam im August 1943 nach Göttingen.
    Einzelne holländische Hilfsarbeiter arbeiteten seit Oktober 1943 bei Winkel, und auch noch 1944 und 1945 kamen einzelne Holländer. Sie wohnten wie die Umschüler vom Dezember 1942 alle privat in der Roten Straße 10. Einer der Hilfsarbeiter wechselte im November 1944 zum "Heeresdienst". Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei nicht um Zwangsarbeiter, sondern um holländische Kollaborateure handelte. Auch eine als "Kriegshelferin" titulierte deutschstämmige Holländerin, die im November 1944 zu Winkel kam, gehörte wahrscheinlich zu einer Gruppe von Holländerinnen, die Ende 1944 nach Göttingen kamen und hier in verschiedenen Rüstungsfirmen arbeiten (so z.B. bei Sartorius), weil deren Männer im SS-Batallion Flandern gedient hatten und sie deshalb Holland verlassen mussten. Im Oktober 1944 war auch schon ein belgischer "Kriegshelfer" zu Winkel gekommen.Im Januar 1945 kamen dann noch einmal zwei holländische Hilfsarbeiterinnen zu Winkel, von denen zumindest eine ebenfalls schon seit Dezember 1944 in Göttingen war und hier kurzzeitig als Hausgehilfin gearbeitet hatte.

  • Die ersten zivilen Arbeiter direkt aus Frankreich kamen zu Winkel im Januar/Februar 1943, darunter einige aus dem Umschulungsprogramm von Feinhand, das im Oktober 1940 für dienstverpflichtete Elsässer aufgelegt worden war. Es folgten weitere französische Arbeiter 1943 und noch bis Anfang und vereinzelt auch noch Sommer 1944. Für Winkel existiert eine Betriebsdatei, die relativ, wenn auch nicht ganz vollständig ist (insbesondere die ehemaligen Kriegsgefangenen sind nicht alle aufgenommen worden). Deshalb kann man wohl davon ausgehen, dass die Zahl von 47 namentlich nachgewiesenen französischen Zivilarbeitern bei Winkel nicht wesentlich überschritten wurde. Allerdings war die Fluktuation relativ hoch, einige der französischen Arbeiter kamen auch aus dem Urlaub in Frankreich nicht zurück nach Göttingen (insgesamt mindestens drei), andere wechselten auf einen anderen Arbeitsplatz. Daher kann man wohl davon augehen, dass ingesamt nicht sehr viel mehr als 60 französische Zivilarbeiter (einschließlich der umgewandelten Kriegsgefangenen) während des Krieges bei Winkel arbeiteten.

  • Nach einem Runderlass Görings vom 23.1.1943 waren die Göttinger Betriebe mit einer Belegschaft von über 500 Köpfen verpflichtet, Aufräumtrupps und Bauhilfstrupps zur Beseitigung von Bombenschäden aufzustellen. Dabei waren in erster Linie Ausländer und Kriegsgefangene einzusetzen. Für die Firma Winkel arbeiteten in diesem Bautrupp neben 5 Deutschen nachweislich ein Franzose, zwei Holländer, zwei Belgier und ein Italiener - woraus sich schließen lässt, dass wahrscheinlich auch danach andernorts nicht aufgeführte Italiener bei Winkel arbeiteten.

  • Seit Frühjahr 1944 arbeiteten einzelne Ungarn, Bulgaren und Slowenen bei Winkel.

    Am 31.12.1944 bestand die Belegschaft der Winkel GmbH nach einer offziellen Meldung für die Reichsgruppe Industrie aus insgesamt 651 Beschäftigten; davon waren 117 "Ostarbeiterinnen" und 50 westliche Zivilarbeiter (Franzosen und Wallonen) (bis auf drei alles Männer).

    Unterbringung:

  • Die holländischen Arbeiter bei Winkel wohnten privat in der Roten Straße 10.
  • Seit August 1943 nutzte Winkel eine von dem Textilunternehmen Schöneis im April 1942 in der Gronerlandstraße 55 errichtete Baracke für die in der Firma beschäftigten in Zivilarbeiter umgewandelten ehemaligen kriegsgefangene Franzosen ("Transformation"). Die Baracke war im August 1944 mit 44 Zwangsarbeiter (nach einer anderen Angabe mit 47, davon 3 Flamen und 4 Wallonen, also Belgiern) belegt. Dort waren ab Janaur 1944 auch eine Gruppe von holländischen Umschülern untergebracht, die im August 1943 nach Göttingen gekommen waren und zunächst im Gasthaus Maschmühle gewohnt hatten.
  • Zwischen Dezember 1942 und längstens Januar 1944 nutzte Winkel ein Lager auf dem ehemals der jüdischen Kaufmannsfamilie Hahn gehörenden Gelände in der Weender Landstraße 59 für eine Gruppe von ca 30 wallonischen Umschülern, die spätestens ab Januar 1944 in die Schöneisbaracke wechselten.
  • Die "Ostarbeiterinnen" von Winkel waren im Lager Schützenplatz untergebracht.

     

    Zur Entlohnung der französischen Zivilarbeiter bei Winkel siehe hier.

  • Zeiss Winkel Neubau 1907 ff.

    Produktionsstätten Königsallee 19-21

    Zeiss Winkel Produktionszeichen

    Zeiss Winkel 1952

    Die Firma im Jahre 1952: Zeiss-Winkel war im Krieg von Bombenschäden verschont geblieben. Die Firma sah also 1952 äußerlich noch so aus wie in der Kriegszeit.

    Fotos von französischen Zivilarbeitern aus der Betriebskartei von Winkel. Siehe dazu auch den Artikel zu Erfassungsfotos.

    Fotos von "Ostarbeiterinnen" aus der Betriebskartei von Winkel.


    Quellen:

    Die obigen Schätzungen beruhen auf der Auswertung und einer entsprechenden Hochrechnung von 24,12 % der insgesamt 1082 Kisten (Zahl bereinigt um Kisten mit ausschließlich typisch deutschen Namen wie Müller, Schmidt, Schulze) der alten Einwohnermeldekartei, die im Stadtarchiv Göttingen aufbewahrt wird.

    Beschäftigtenmeldung Winkel GmbH 31.12.1944, Bundesarchiv Außenstelle Lichterfelde, R 12 I/102 (Reichsgruppe Industrie).

    Lageraufstellung auf Anforderung der Gestapo vom 4.8.1944 und vom 6.9.1944, Stadtarchiv Göttingen Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 541-546.

    Lageplan Baracke Groner Landstraße 55 Firma Willi Schöneis, Stadtarchiv Göttingen Baupolizei XX B Fach 112 Nr. 391, o.P.

    Runderlass Göring 23.1.1943, Zusammenstellung der Aufräumungstrupps (A-Trupps) und der Bauhilfstrupps (B-Trupps) der Göttinger Betriebe mit einer Belegschaft über 500 Köpfen, o. D. [10.4.1943], Aerodynamische Versuchsanstalt an Oberbürgermeister 7.3.1944, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 1 Nr. 45, o.P.
    An das Landesarbeitsamt Hannover 14.12.1943, zur Kenntnis an Frey, unterzeichnet mit Ra., Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 1 Nr. 45a Bd. 3, o.P

    Arbeitskarten, Stadtarchiv Göttingen Kleine Erwerbung 192 Carl Zeiss Werk Göttingen- Arbeitskarten ehemaligen Zwangsarbeiter 1941-1945.

    Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen, Alte Einwohnermelderegistratur.

    Register Fremdenpässe angefangen 4.2.1942 (143/1943, 137/1944, 138/1944, 139/1944, 143/1944, 145/1944, 147/1944, 149/1944), Stadtarchiv Göttingen Acc. Nr. 1047/1991 Nr. 258 (Ordnungsamt).

    Skizze, aus: 100 Jahre R. Winkel GmbH Zeiss-Winkel Göttingen, Festschrift o.O. 1957.

    Foto aus: Gerhard Kühn, Ein Stück Wirtschaftswunder in Göttingen. Wie die Firma Winkel 1945 wieder begann, in: Göttinger Monatsblätter 85 (März 1981), S. 10.f.

    Carl Zeiss Werk Göttingen- Arbeitskarten ehemaligen Zwangsarbeiter 1941-1945, Stadtarchiv Göttingen, Kleine Erwerbung 192.

    Literatur:

    Baranowski, Frank, Geheime Rüstungsprojekte in Südniedersachsen und Thüringen während der NS-Zeit, Duderstadt 1995, S. 44.

    Klaus Henkel, Zeiss, Winkel und Standard. Ein Überblick über die Mikroskope von Carl Zeiss Oberkochen zwischen 1948 und 1990, 17. Februar 2004, S. 1-3.

    Eckart Schörle, Gutachten zur Situation von "Zwangsarbeitern" bei der Firma Sartorius Göttingen während der Zeit des Nationalsozialismus, Göttingen im Juni 2000 (Manuskript im Stadtarchiv Göttingen), S. 39 f.

     


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