NS-Zwangsarbeit: Erinnerungen von Paul W., geb. 27.4.1922, an seine Zwangsarbeit im Flakzeugamt

Paul W. kam im März 1943 ins Flakzeugamt. Untergebracht war er im Lager Egelsberg, dort war er Mitglied einer Lagerband. Am 18. Februar 2004 schrieb er in einem Brief an Cécile Bonnet (Übersetzung Robert Piat, Dolmetscher der Fédération Nationale des Victimes et Rescapés des Camps Nazi du Travail Forcé und Cordula Tollmien):

"Ich wohnte in Pontin (Seine Saint Denis 93) mit meinem Vater und meinen 2 Brüdern und meiner Schwester, (meine Mutter starb im Jahre 1942). Ich bin der Erstgeborene. Ich abeitete in Paris in einer Firma, die Ersatzmittel (Kunstöl und Kunstseife) herstellte, 104 Bd Clichy.

Es wurde ein Gesetz verabschiedet, um Jugendliche im Alter von 20 Jahren (STO) in allen Rathäusern zu zählen, und ausserdem stand ich als Erster auf der Liste meiner Firma, auf der die Leute standen, die nach Deutschland fahren mussten. (Vichy Gesetz, um die Kriegsgefangene auszutauschen, damit sie nach Hause zurückkehren können [Réléve - C.T.]. Ich habe noch KEINEN getroffen [der ausgetauscht worden wäre - C.T.]!

Also am 23.02.43 Anmeldung im Rathaus meiner Gemeinde, und am 12. März 1943 Abfahrt von der Gare de l'Est mit meinem Freund Jacques G., der in der selben Firma arbeitete wie ich .

Sonderzug, Personenwagen mit einem Koffer, vorher hatte ich meine Lebensmittelkarten abgegeben, ich hatte also keine Möglichkeit mehr, mich zu ernähren.

Ankunft in Aachen, zur Kontrole und Zuweisung an die Bestimmungsorte. Zuweisung nach Göttingen, Flugplatz der Luftwaffe.

Keine Erinnerung an die Reise, wir waren 20, ich erinnere mich daran, dass wir gesungen hatten (vielleicht "La Marseillaise").

Keine Verwaltungsschritte, Zuweisung gemäß dem Beruf.

Das Lager befand sich auf dem Flugplatz, einem Tag und Nacht von einem Hund überwachten Militärgelände. Uns wurde ein Passiersschein ausgestellt. Wir durften nur zu bestimmten Zeiten ausgehen, Ausgangsperre. Keine Ferien und vor allem keinen Urlaub. Selbst Sonntags durfte man auf uns zugreifen. Einige Baraken aus Holz, Stubenbelegschaft aus 8 bis 10 Franzosen; Dusche und Toilette waren draußen, gemeinsame Nutzung.

Kantine mit deutschen Zivilsten, gleitende Arbeitszeit, wir standen den deutschen Militärs zur Verfügung, die Praktika machten.

Zuweisung (Einrichtung der Zimmer, um die deutschen Zivil-und Militärschüler zu empfangen); wir waren Handlanger, wir mussten die deutsche Sprachen lernen, um uns aus der Klemme zu ziehen.

Keine Kontakte zu deutschen Frauen, darauf stand Arbeits(erziehungs)lager.

Uns blieben die ebenfalls deportierten Frauen aus dem Osten (Fotos), und ab und zu Kino in der Stadt (deutsche Filme.)

Das Lager wurde von einem "Lagerführer" [Deutsch geschrieben] überwacht, einem alten Mann, der sicherlich nicht eingezogen werden konnte. Es gab ein Krankenrevier, aber es war sehr schwer, fast unmöglich, sich "krank" [Deutsch geschreiben]zu melden. Ich erinnere mich daran, dass ich einmal in die Stadt gegangen bin wegen einer Zahnbehandlung. (Dringlich)

Die Laune der deutschen Arbeiter war in ihren Gesichtern zu lesen, angesicht der Nachrichten über den "Krieg" [Deutsch geschrieben]. Dagegen keine Nachrichten von meiner Familie, kein Paket. Abends eine Suppe, in der ein bisschen Kümmel schwamm. Schliesslich hatten wir HUNGER!

Völlige Solidarität im Zimmer. Die Bauernkinder aus der Normandie teilten ihre aus Frankreich bekommenen Pakete mit den Parisern.

Und ab und zu durchbrachen einige Noten (Fotos) oder Sport (Fotos) die Monotonie dieses Exillebens, in dem jegliche menschliche Wärme ausgeschlossen war. Nachts setzten wir unser Leben aufs Spiel, um einige Kartoffeln zu stehlen! Ja, die Jugend ist zu allem bereit.

Was ich Ihnen gerade schreibe, wurde von manchen Kameraden im Jahre 1943 auf Drängen von einem flüssig französischsprechenden "Feßwebel" [Auf Deutsch geschrieben - gemeint ist sicherlich "Feldwebel"] gemacht. Am folgenden Tag war die Gestapo in unserem Lager und manche Kameraden sind nie zurückgekommen! Es gibt Verjährung... also...

Da die Bombenangriffe der Allierten immer heftiger wurden, beschloss die Hohe Instanz, dass wir uns nach Danzig (Langfuhr) zurückziehen sollten, ebenfalls eine Schule. Dieselbe Aufgaben. Hilfsarbeiter. [In Danzig-Langfuhr befand sich eine Fluzeugführerschule - C.T.]

Dennoch war es für mich eine Lebensveränderung. Unterbringung in einem Wohnhaus und Zivilversorgungskarten. War waren nur 5 Franzosen, und letzendlich kochten wir, und kein Stacheldraht mehr!

In der Stadt traffen wir viele Polen, und der Tauschhandel funktionierte. (Zigaretten, Brot, Schokoloade usw... )

Wir mussten noch sehr vorsichtig sein, aber wir stellten eine gewisse Entspannung seitens der deutschen Bevölkerung fest.

Der Krieg war fast zu Ende, wir hatten einige Bombenangriffe erlebt, aber wir waren nicht mehr direkt auf dem Flugplatz, wir waren auf das Land ausgewandert und bald ganz uns selbt überlassen [..].

Dann wurden wir und mehrere Russinen von einem von einer Frau geführten Kommando befreit, und glücklicherweise waren die "Franzouskis" frei, um auf eigene Faust ein russiches Sammellager zu erreichen, in dem sich alle bedrängten Nationalitäten befanden. 2 Monatel ang aßen wir trockenes Brot und harte Erbsen (nd keine Spur vom Roten Kreuz).

Am 23. Mai 45 sind wir endlich in einen Viehwagen eingestiegen, um nach Schwerin (Ankunft am 28. Mai, 12.00 Uhr) via das völlig zerstörte Berlin und die Amerkanische Zone, und am 1. Juni 45 kam ich in Compiegne an, empfangen vom Roten Kreuz . Nach 27 Monaten schloss ich endlich meinen Vater, meine Schwester und meine 2 Brüder in meine Arme. Uff!. Es tut gut, wieder in Frankreich zu sein.

Um diesen Bericht zu beenden, den ich so ausführlich wie möglich machen wollte, kann ich Ihnen sagen, dass ich sehr froh war, relativ unversehrt, heimgekehrt zu sein. 1945 bildeten die Kriegsgefangen, die politischen Deportierten und die Zwangsarbeiter (STO) einen festen Block. Aber im Laufe der Jahre verfiel dieser. Jeder erzählte sein Erlebnisse "dort", Dokumentarfilme wurden gedreht, Berichte wurden geschrieben. Es wurde irgendetwas über uns gesagt. Die Leute haben Deportation und freien Willen verwechselt.

Jeder gründete seine Vereinigung (Zeitung als Beilage). Unsere Föderation wurde mehrmals wegen der Benutzung des Wortes "Deportation" angegriffen.

Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir, Klasse 42 als Deportierte gezählt wurden. Unserer Lebensmittelkarten beraubt, und GEZWUNGEN zu fahren. (Druck auf die Familie).

Zwei Auswege waren für uns Jugendliche im Alter von 20 Jahren denkbar:
- England auf nicht immer sicheren Fluchtwegen
- unterzutauchen, was grosse Risiken und wieder Druck auf die Familie bedeutete: Ich war der Erstgeborene von 2 Brüdern und einer Schwester..."


Franzosen aus der Normandie im Lager Egelsberg


Franzosen vor dem Zaun des Lagers Egelsberg


Freizeit am See


Ausflug in die Stadt (Foto von Pierre G.)


Raymond G. und ein anderer Franzose verletzt

Der Bericht von Paul W. wird hier mit Fotos illustriert, die Pierre G. und Raymond G. Cécile Bonnet übergeben haben. Raymond G., geb. 24.2.1922, kam im Februar 1943 ins Flakzeugamt und Lager Egelsberg, danach arbeitete er dann für einen Bäcker, tauschte dann mit einem ausgebildeten Bäcker und arbeitete danach bei Sartorius, blieb aber im Lager Egelsberg.


Quellen und Literatur:

Aufenthaltsanzeigen für Ausländer (Raymond G., geb. 24.2.1922), Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 15 (alphabetische Ablage).

Brief Paul W., geb. 27.4.1922, an Cécile Bonnet 18.2.2004, Brief Raymond G., geb. 24.2.1922, an Cécile Bonnet 14.2.2004, (überlassen von Cécile Bonnet, Übersetzung Piat überlassen vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universtität Göttingen, Jörg Janssen), Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32 - Tollmien.

Fotos Raymond G., geb. 24.2.1922 (überlassen von Cécile Bonnet), Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32 - Tollmien (Fotos Franzosen).

Cécile Bonnet, Service du travail obligatoire (STO) in Göttingen, Magisterarbeit Universität Aix en Provence, Frankreich, 2004 (Manuskript).

 


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