Pawlo Fjodorowitsch Sch., geb. 23.11.1925, depotiert 1943 (Reichsbahn in Hannover, Behelfsheimbau Göttingen)

Pawlo Fjodorowitsch erzählte im April 2001 seiner Tochter seine Erinnerungen an seine Zwangsarbeit in Deutschland, wo er unter anderem für das städtische Bauamt bei Behelfsheimbau arbeiten musste. Die Tochter schrieb auf, was er sagte:

"Ich wurde am 23. November 1925 im Dorf Kowalewka, Schtschorskij Bez., Dnepropetrowskaja Geb., geboren. Im Jahre 1935 bin ich in das Dorf Guljaj Pole, in demselben Bezirk, übersiedelt.
Im Jahre 1941 sind in unser Dorf die Deutschen gekommen. Sie haben mich zur Arbeit in einem Pferdestall als Pferdeknecht gezwungen. Im Jahre 1943, als die Rote Armee angegriffen hat, haben sich die Deutschen zurückgezogen und haben vom Dorf das Vieh und die Menschen gewaltsam mitgenommen. Ich wurde auch verschleppt. Zuerst wurde ich zu Fuß in das Dorf Schiroke getrieben, dann mit dem Zug nach Nikolajew gebracht, von Nikolajew aus mit dem LKW nach Odessa und dann mit dem Zug von Odessa nach Peremyschl gefahren. Dann wurden wir in ein anderen Zug gesetzt und nach Dsinsil ins Lager abtransportiert. Dort wurden wir geprüft, zusammengestellt und nach Hannover gefahren.
In Hannover wurden wir in einem Lager in der Schelesnodoroschnaja Strasse [Eisenbahnstrasse - C.T.] 32 untergebracht. Dort habe ich bei der Eisenbahn gearbeitet. Dort gab es einen Umschlagplatz, wo von den verschiedenen Fabriken die Abfälle von Papier, Karton, Lappen gesammelt, in Packen gepresst und in die Wagen geladen wurden. Von dem Bahnstieg aus konnte man dem Werk "Hanomak" sehen, aus dem die Panzer herausgefahren sind. [...] Im Hannover wohnte ich etwa ein halbes Jahr, dann wurde ich nach Göttingen gebracht.
Hier wohnte ich auch im Lager und arbeitete beim Bau. Vom Lager zur Arbeit wurden wir quer über die Eisenbahnanlagen geführt. Dort war ein großer Bauplatz, man baute ein Dorf oder eine Siedlung. Das Fundament bauten die Italiener und wir, 8 Menschen, machten die Wände. Zusammen mit uns arbeiteten die deutschen Juden, die den Weg machten. Unser Vorgesetzter war Palij, er hat mit dem Arbeitgeber gesprochen, der ihn Paul genannt hat [gemeint ist offenbar ein anderer Zwangsarbeiter, der für die Bautruppe die Anweisungen der Deutschen entgegennahm, Pawlo Fjdorowitsch bezeichnet ihn an anderer Stelle auch als Kapo]. Paul hat an uns die Arbeit verteilt. [...]
Wir wurden morgens zur Arbeit geführt. Ob wir morgens etwas gegessen haben, erinnere ich mich nicht. Zum Mittagsessen brachten sie uns eine Rübensuppe. Ob wir Brot bekamen haben, erinnere ich mich auch nicht. Wir wurden nicht geschlagen. Wir arbeiteten und es ging so. Dort bei dem Bau waren Häuschen, in denen wir uns waschen konnten, dort gab es auch warmes Wasser. Abends kehrten wir ins Lager zurück. Irgendwohin zu gehen, wurde uns verboten. Nur zur Arbeit und von der Arbeit zurück.
Im Jahre 1945 wurden wir von der amerikanischen 8. Armee befreit, die uns den Engländer übergegeben hat. Die haben uns in die Militärkasernen einquartiert. Wir haben dort einige Zeit gelebt und wurden dann mit dem LKW nach Frankfurt-an-der-Oder abtransportiert. Dort wurden wir in eine Kaserne einquartiert, in ein zweistöckiges Haus. Dann sind die Russen gekommen und wir wurden in ein anderes Lager überführt. Dort lebten wir nicht schlecht, arbeiteten nicht, bekamen etwas zu essen. Wir wurden als Kriegsgefangene behandelt. Irgendwohin zu gehen wurde uns verboten. Etwa nach 1,5 Monaten wurden wir nach Brest gefahren, wo wir in das Lager "Juschnij" („Süd“ ) gebracht wurden. Dort sagt man uns: 'Diejenigen, die im Jahre 1925-1926 geboren sind, stellt euch in Reihen auf, ihr werdet in den Dienst der Armee genommen, um Eurer Heimat zu dienen.' Wir wurden in eine andere Kaserne als Soldaten einquartiert. Ich kam in die 315. LAP (leichte Artillerieabteilung ). Im Brest war ich 2 Jahre im Dienst, dann wurde die Abteilung aufgelöst und ich kam in die 417. Artilleriedivision, die eíne Hilfsabteilung der 8. Panzerarmee war. Im Jahre 1948, am 13. März, bin ich aus dem Armeedienst entlassen worden und kam wieder nach Hause."

Auf Nachfragen antwortete Pawlo Fjodorowitsch wieder über seine Tochter, dass er wenn er damals gewusst hätte, dass heute solche Fragen auftauchen würden, hätte er sich damals schon für alles interessiert, aber damals habe ihn gar nichts interessiert. Zu den deutschen Juden und den Italienern, die mit ihm zusammenarbeiteten, schrieb er:

"Sie fragen, wie viele Italiener und Juden zusammen mit mir arbeiteten? Italiener gab es ungefähr 6 Menschen, sie machten die Fundamente unter den Häuschen und arbeiteten vor uns. Ihnen folgten wir und gossen die Wände. Die Italiener waren in Uniform. Sie galten, als „Badolzen“ [Badoglinis - nach dem italienischen postfaschistischen Ministerpräsidenten, der die geheimen Waffenstillstandsverhandlungen mit den Allierten geführt hatte. Die von den Deutschen in Rom daraufhin inhaftierten italienischen Soldaten nannte man auch Badoglio-Divisionen - C.T.], und die Juden als Musulinzen [Muselmanen - C.T.] Wenn wir eine Wand fertig hatten, gingen wir zum nächsten Häuschen. Uns folgten die Juden, von ihnen gab es zwei. Sie kamen mit Fahrrädern. Bekleidet waren sie nicht schlecht, ein aufgenähtes Judenabzeichen habe ich nicht gesehen. Wo sie wohnten sie , weiß ich nicht, aber nicht in unserem Lager. Sie haben zwischen den Häuschen Sand ( oder etwas ähnliches) gestreut. Sie arbeiteten langsam, aber sie wurden von niemandem zur Eile angetrieben. Ich habe Paul gefragt, warum sie so schlecht arbeiten. Er antwortete, sie seien große Menschen. Einer von ihnen sei ein Professor, der andere hätte einen großes Geschäft in Berlin. Wie sie in diese Arbeit geraten sind, weiß ich nicht. Man erzählte sich bei uns, dass sie kastriert worden seien. Ich weiß nicht , ob da immer die gleiche oder verschiedene Menschen gearbeitet haben. Sie arbeiteten nicht mit uns gemeinsam, sondern getrennt.
Außerdem erinnere ich mich, dass zu uns ein Mann mit dem Fahrrad kam, sie nannte ihn „Schef“ [Chef - C.T.]. Er war ein Invalide, der linke Fuß war bei ihm ein Metallhaken."

Auf die Frage nach dem Weg zwischen Lager und Baustelle antwortete Pawlo Fjodorowitsch:
"Sie fragten auch nach dem Weg, auf dem wir zur Arbeit kamen. Unsere Baracke stand abseits von der Eisenbahn. Dort gab es auch einen Güterbahnhof. Wir gingen durch einen Tunnel, dann durch den Bahnhof.[Die Beschreibung trifft sowohl auf das Lager Schützenplatz als auch auf das Reichsbahnlager Auf der Masch zu - C.T.] Und dann begann die Umgebung von der Stadt. Wir gingen die Strassen entlang, eine Seite war länger als die andere. Dort standen schöne zweistockige Villen. Links gab es einen leeren Platz. Dort bauten wir das Dorf [die Behelfsheimsiedlung - C.T.]."


Quellen:

Fragebogen Pawlo Fjodorowitsch Sch., geb. 23.11.1925, o.D. (Eingang 23.4.2001), und Brief o.D. (Eingang 13.8.2001), Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32 - Tollmien.

 


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