NS-Zwangsarbeit: Lager in Gasthäusern

Das Gasthaus Maschmühle war in Göttingen ein sehr beliebtes Ausflugsziel.
Seit November 1939 wurden dort die polnischen Zwangsarbeiter verpflegt,
denen man einen von den anderen Schankräumen getrennten Raum zugewiesen hatte,
der von deutschen "Volksgenossen" nicht betreten wurde.
Später wurden dort auch andere Zwangsarbeiter untergebracht.
(aus: Günther Meinhardt, Göttingen in alten AnsichtenZaltbommel/Niederlande1984)

Die Unterbringung von Zwangsarbeitern in Gasthäusern war für deren Betreiber äußerst lukrativ, da die Vergütung für die Nutzung von deren Räumen "nicht nach dem Wert für die Bedarfsstelle, sondern nach dem Durchschnitt des in den letzten drei Kalenderjahren vor Kriegsausbruch erzielten Umsatzes bemessen wird" (Schreiben der Preisbehörde an den Regierungspräsidenten vom 17.1.1944, Stadtarchiv Göttingen, Amt für Wohnungswesen Nr. 294). Da der Umsatz bei den meisten Gastwirtschaften bei Kriegsausbruch eher zurückgegangen sein dürfte, waren Zwangsarbeiter durchaus eine lohnende Alternative. Gegen Ende des Krieges wird es in Göttingen (einschließlich der genannten Dörfer) wohl kaum noch eine Gaststätte mit einem größeren Saal gegeben haben, die nicht mit ausländischen Arbeitern belegt war. In den ehemaligen Tanzsälen waren dabei vor allem französische Kriegsgefangene, Polen und Ukrainer untergebracht, Holländer und vor allem Flamen zum Teil auch in den Gastzimmern, die dann allerdings immer mit mehreren Personen belegt waren. Insgesamt ließen sich bisher 18 Gaststättenlager in Göttingen (einschließlich Geismar, Grone und Weende ohne die Reichsbahnlager in Bovenden, Adelebsen, Lödingsen und Nörten Hardenberg) nachweisen.

Vor allem die Reichsbahn (aber vereinzelt auch andere Betriebe) nutzte die Gasthäuser in Göttingen und Umgebung für ihre Zwangsarbeiter. Aufgenommen wurden in diese Liste deshalb auch Gasthäuser beispielsweise in Bovenden, Adelebsen und Lödingsen, aus denen nachweislich Zwangsarbeiter auf Göttinger Arbeitsstellen kamen. Wenn bekannt, werden auch die Belegzahlen angegeben. Für die Reichsbahn wurde dafür auch die von der Ausstellungshomepage "Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit. Südniedersachsen 1939-1945" veröffentlichte Karte der Eisenbahnlager herangezogen.

  • Gasthaus Sültebeck: Tschechen, französische Kriegsgefangene, Polen, Holländer, Belgier, Italiener (Reichsbahn, verschiedene Göttinger Privat betriebe, Stadtverwaltung, Kohlenhändler)
  • Gasthaus Maschmühle, Maschmühlenweg 62, Gastwirt Sieburg: 1939 zunächst für die Verpflegung der ersten polnischen Zwangsarbeiter bei Keim genutzt - es war das einzige für Polen freigegebene Lokal; 1943 Unterbringung von holländischen und tschechischen Umschülern für die Junkerswerke und für die Firma Winkel.
  • Gastwirtschaft von August Meyer (Niedersächsischer Hof) im Papendiek 1: Flamen ab Januar 1941 als Umschüler für die Junkerswerke, dann einzelne Flamen ab Februar 1942 / Januar 1944 in den Aluminiumwerken; ab Juli 1941 einzelne Staatenlose/Westukrainer für das Betriebsamt, ab Juli 1942 Holländer darunter auch Umschüler, ab Sommer 1944 auch Polinnen und Polen.
  • Saal Dietzel, Angerstraße 3 b: Oktober 1941 bis Dezember 1942 Polen und Westukrainer für die Kohlenhändler, dann wegen unhaltbarer hygienischer Zustände geschlossen (das Lager wurde in den Hasengraben verlegt). Vor September 1941 waren in der Angerstraße 3b auch italienische Bauarbeiter der Firma Dawe untergebracht.
  • Gasthaus Zur Deutschen Eiche, Obere Maschstraße 8 (Reichsbahn: 1940 und 1941 Tschechen)
  • Bahnhofsgaststätte (Reichsbahn: Holländer ab Oktober 1943 und die polnischen Haus- und Küchenmädchen, die in der Gaststätte arbeiteten, ab Oktober 1944 dann eine größere Gruppe von polnischen Rangierarbeitern).
  • Gastwirtschaft Brauner Hirsch in der Zindelstraße 5 (Reichsbahn: Franzosen, Holländer),
  • Frankfurter Hof in der Kurzen Geismarstraße 3 (Reichsbahn: Holländer ab spätestens November 1944),
  • Gastwirtschaft Hegemann im Papendiek 9 (Reichsbahn: Holländer ab spätetens Dezember 1944),
  • Stadtkaffee (Grätzelhaus) in der Goetheallee 8 (Reichsbahn: Holländer spätestens ab November 1944),
  • Gastwirtschaft Engel in der Roten Straße 13 (Reichsbahn: Tschechen, Franzosen, Holländer und Belgier, Polen und Ukrainer ab spätestens März 1944 / im August 1944 54 "Sonstige" und 4 Polen im Lager Engel und Lager Brauner Hirsch - Sonstige im September 1944 spezifziert in: = 13 Holländer, 1 Flame, 4 Franzosen, 10 Tschechen, 13 (West)-Ukrainer = Gesamt 41),
  • Gasthaus Zur Ratte in der Groner Landstraße 6 (Reichsbahn: Tschechen, Holländer, Polen),
  • Gasthaus Zur Linde in Geismar: 1941/42 als Lager für französische Kriegsgefangene durch die Phywe und die Firma Lambrecht genutzt, danach Reichsbahn: Wallonen und Flamen (ab Dezember 1942), Tschechen (ab Januar 1943), Franzosen (nach Juni 1943) - April 1942 ca 80 französische Kriegsgefangene, Nachkriegsangabe 50-60 Zivile Arbeiter und Kriegsgefangene zusammen, realistische Schätzung um die 100 Zwangsarbeiter.
  • Saal des Gasthauses Engelhardt (Inhaber Heinrich Klages) in Geismar (Reichsbahn: Sowjetische Kriegsgefangene ab 1943 / 80 sowjetische Kriegsgefangene),
  • Gesellschaftshaus Weende (Serben nachgewiesen ab Februar 1942 für die Aluminiumwerke - ev. waren diese Serben nur vorrübergehend im Gesellschaftshaus untergebracht, mehrere von ihnen wechselten bereits im März 1942 in Göttinger Privatquartiere -, Tschechen nachgewiesen ab August 1942 für die Reichsbahn, Holländer für die Aluminiumwerke / Nachkriegsangabe: 70 bis 90 Arbeiter: 30 % Holländer, 70 % Tschechen),
  • Weender Hof (1941/42 auch Italiener für die Baufirma Dawe, später für die Reichsbahn Franzosen, "Ostarbeiter" und Serben / Nachkriegsangabe 100 "Ostarbeiter")
  • Gasthaus "Zur Erholung", Weender Landstraße 94 (Sartorius: französische Zivilarbeiter ab Januar 1943 / im September 1944 nur 20 Insassen)
  • Groner Hof = Lager Paul (nach dem Gastwirt Heinrich Paul) - die Gaststätte lag gegenüber dem Reichsbahnausbesserungswerk (Reichsbahn: kurzeitig sowjetische Kriegsgefangene, wahrscheinlich 1942, ansonsten Zivilarbeiter, nacheinander: Polen (ab September 1941), Franzosen (ab Juni 1943), Italiener (ab Oktober 1943), einzelne Serben und "Ostarbeiter" / 150 polnische Zivilarbeiter, schätzungsweise 30 französische Zivilarbeiter, 150 Italiener (IMIs, nach einer Nachkriegsangabe 80 italienische Zivilarbeiter), 70 "Ostarbeiter").


    Groner Hof Zeichung 1939
    (aus: 50 Jahre städtische Brauerei zu Göttingen am Brauweg, Göttingen o.J. [1939])

    Im Groner Hof unterhielt die Reichsbahn 1941 ein Lager für Polen. Dieses wurde im September 1941 erstmalig aktenkundig, weil darin untergebrachte Polen sich mit Brennspiritus betrunken hatten, und im Februar 1942 stellte das Gesundheitsamt fest, dass dort - wie übrigens in allen acht gleichzeitig kontrollierten Zwangsarbeiterlagern - die Toiletten eingefroren waren. Die Zustände dort scheinen also ähnlich schlimm wie im Lager Sültebeck gewesen zu sein, das ja auch ein ehemaliges Gasthaus war. Wenn man davon ausgeht, dass - wie auch bei den mit der Südhannoverschen Tageszeitung geführten Verhandlungen über die Einrichtung des Lagers Sültebeck - der Vertrag über die Nutzung des Groner Hofs, dessen Besitzerin die Städtische Brauerei war, als Lager nicht mit dem Pächter, sondern mit dem Eigentümer geschlossen wurde, so war die Städtische Brauerei Nutznießerin der Einrichtung dieses Lagers. Vor allem in den letzten Kriegsjahren, in denen der Bierabsatz stetig zurückging, kann man davon ausgehen, dass das Lager sicherlich regelmäßigere und höhere Pachteinnahmen abwarf als sie von einer Gastwirtschaft zu erwarten gewesen wären.

  • Bovenden: Gastwirtschaft Müller (Reichsbahn: Franzosen ab spätestens November 1940 (von dort wechselten einige Franzosen im Dezember 1942 zu Feinprüf und ab März 1943 zum Bahnhof Göttingen, im August 1944 wechselten wiederum einzelne Franzosen vom Lager Masch nach Bovenden / insgesamt ca 240 Zivilarbeiter)
  • Adelebsen: Gastwirtschaft Stumpf (Reichsbahn verschiedene Nationalitäten/ schätzungsweise 140 Zivilarbeiter)
  • Lödingsen: Gastwirtschaft Buhre (Reichsbahn / schätzungsweise 110 Zivilarbeiter)
  • Nörten Hardenberg: Ratskeller (Reichsbahn: Franzosen, einzelne wechselten im Juni 1946 ins Lager Masch und kamen aus dem Lager Adelebsen / ca 50 Zivilarbeiter)

  • Quellen:

    Oberbürgermeister an Schutzpolizei 31.5.1940, Bericht 3.10.1941, Stadtarchiv Göttingen Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 383, Bl. 438 v.

    Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen, Alte Einwohnermelderegistratur.

    Statistiken August/September 1944, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 541f. , Bl. 544-547; Lageraufnahme Belgischer Suchdienst 1949, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover, Film 3.

    Bericht Gendarmerieposten Grone 24.9.1941, Bericht Gesundheitsamt 5.2.1942, Stadtarchiv Göttingen Pol.Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 438, Bl. 449; Bericht des Vorstandes der Städtischen Brauerei zu Göttingen über das Geschäftsjahr 1938/39.

    Lageraufnahme belgischer Suchdienst 1949, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Film 3, Nr. 1446, 1447, 1463, 1476, 1477, 1478, 1484, 1485. Schreiben der Preisbehörde an den Regierungspräsidenten vom 17.1.1944, Stadtarchiv Göttingen, Amt für Wohnungswesen Nr. 294, o.P.

    Literatur:

    Ewald Dawe, Ewald, Geismar. Platz der sprudelnden Quellen. Band I Von den Anfängen bis 1946, Göttingen 1987. S. 302.

    Margret Dieck, Städtische Brauerei zu Göttingen. Die Entwicklung einer Unternehmensform, Göttingen 1969.

     


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