NS-Zwangsarbeit: Erinnerungen des damals zehnjährigen Egon J., geb. 8.2.1935, wohnhaft in der Königsallee

Die Erinnerungen des damals zehnjährigen Egon J. werden hier nach den Mitschriftnotizen eines Gesprächs am 12. Janaur 2004 wiedergegeben. Auch seine Frau beteiligte sich an dem Gespräch.

Egon J., geboren am 8. Februar 1935 als Sohn eines Buchhalters, wohnte während des Krieges in der Königsallee 9, in einem Haus, das der Firma Winkel gehörte. In unmittelbarer Nähe befanden sich eine ganze Reihe weitere Rüstungsfirmen, so z.B. Spindler & Hoyer und die Phywe; außerdem der Flughafen mit dem Lager Egelsberg und die großen Lager Schützenplatz und Auf der Masch.

Er habe, so Egon J., als 10jähriger die Kriegsgefangenen (so sagt er, in diesem Fall, waren es wohl zivile Zwangsarbeiter) erlebt, die in Vierereihen, bewacht vom Schützenplatz zu ZEISS (Winkel) und Spindler & Hoyer marschierten.

Das Lager Schützenplatz sei umzäunt gewesen und am Zaun hingen Schilder, die verboten, sich dem Lager zu nähern, und auch Fotografieren war verboten. Für sie als Jungs sei es damals eine Art Mutprobe gewesen, sich trotzdem so weit wie möglich an das Lager heranzuschleichen.

Vor 1944 sei ein Kontakt mit den Russen fast unmöglich gewesen. Er habe da einmal ein einschneidendes Erlebnis gehabt: Die Leute seien zerlumpt und mager gewesen und er habe einer Russin in so einer Marschkolonne ein Stück Brot zugesteckt. Ein höher gestellter Nazi (Egon J. wörtlich "Nazi Goldfasan") habe ihm zugerufen: "Wenn ich dich nochmal erwische!" Seine Mutter habe danach sehr viel Angst gehabt.

Ab 1944 [da wurden die Ausgehbestimmungen gelockert - C.T.] sei, so Egon J., der Kontakt leichter gewesen: Die Russen hätten rausgedurft und hätten versucht Spielzeug an die Deutschen zu verkaufen bzw. gegen Essen zu tauschen. Egon J. konnte das Spielzeug noch genau beschreiben: Es handelte sich um wohl um ein Huhn aus Holz auf Rädern, das durch einen sinnreichen Mechanismus aus Draht beim Rollen auf und nieder pickte.

Seine Frau warf an dieser Stelle ins Gespräch ein, dass ihr Vater seine Arbeit verloren habe, wegen seines zu engen Kontakts zu Zwangsarbeitern. Er habe als Schneidermeister in Barterode kein Auskommen gehabt und seit deswegen nach Göttingen zu Feinprüf gegangen. Dort musste er einen Trupp [sowjetischer Kriegs-]Gefangener betreuen: Er habe nie so arbeitswütige und anständige Menschen getroffen, so der Vater. Er habe nicht mit ansehen könne, wie die Russen hungerten und nahm trotz Verbot Essen für sie mit in die Firma. Er wurde entdeckt und zweimal deswegen verwarnt. Die Firma wollte ihn da noch behalten, weil er ein guter Arbeiter war. Doch er habe aber unter diesen Bedingungen nicht mit den Russen, denen es so schlecht ging, arbeiteten können. Er habe gesehen, wie die Russen an den Abfallkübel gingen, um sich daraus etwas zu essen zu holen, und wie sie dafür bestraft wurden. Der Vater habe darauf zu seinem Vorgesetzten gesagt, dass er dies nicht mehr mit ansehen können und bemängelt auch, dass das Zigarettendeputat, das den Russen zustand, von einem Angestellten unterschlagen wurde. Da bekam er seine Papiere. Er ging kurz vor Kriegsende und die Russen schenkten ihm eben diese Pickhühner.

Egon J. erinnerte sich auch an den Bombenangriff im November 1944, bei dem der Gasometer zerstört wurde. Ein Bombenteppich habe auch auf der Godehart-Straße und der Königsallee gelegen, Dächer seien zerstört worden, das Schlimmste aber seien die Zeitzünderbomben gewesen. Die SA sei gekommen, um den Schaden aufzunehmen. Dabei habe er gemerkt, wie verhasst die "Bonzen" gewesen seien: "Die Väter waren an der Front und die Bonzen liefen hier unbehelligt herum." Die Frauen seien auf diese losgegangen und hätten gefordert, dass die Schäden schnell behoben werden sollten. Zwei bis drei Tage später waren die Paletten mit Dachziegeln für die kaputten Dächer da, die dann von den Russen gut und schnell gedeckt worden seien. Eine Hausbewohnerin, die Pakete vom Land bekam und daher gut versorgt gewesen sei, habe einen 10-Liter-Topf weißer Bohnen für die Russen gekocht. Er werde nie vergessen, so Egon J., wie ausgehungert sich diese darüber hergemacht hätten.

Seine Frau warf ein, dass die Russen ja sonst nur Kartoffelschalen bekommen hätten.

Egon J. erinnerte sich auch an die riesigen Bombentrichter: "Die Russen mussten da rein und die Bomben entschärfen. Die hatten doch keine Ahnung davon und daher ging es auch oft schief." Auf Nachfrage: Er habe dies nicht selbst gesehen, sondern nur die Explosionen gehört.

Zusammenfassend sagte Egon J.: Als Jungs seien sie damals unkritisch gewesen, hätten aber auch negative Dinge registriert, die sie aber nicht hätten richtig einordnen können.


Quelle:

Interview mit Egon J., geb. 8.2.1935, und seiner Frau Renate 12.1.2004, Protokoll, Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32-Tollmien.

 


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