NS-Zwangsarbeit: Zuständigkeiten

In den ersten Kriegsjahren war der Einsatz ausländischer Arbeiter in der deutschen Kriegswirtschaft bestimmt durch Kompetenzstreitigkeiten zwischen verschiedenen Verwaltungsstellen und Parteibehörden. Vor allem in Detailfragen konkurrierten um Einfluss und Mitbestimmung insbesondere: die Arbeitsämter, die Deutsche Arbeitsfront (DAF), das Reichsarbeitsministerium, das Wirtschaftsministerium, die Reichstreuhänder der Arbeit, die die regionalen Löhne und Gehälter festzulegen hatten, der Vierjahresplan unter Hermann Göring, die SS und die Wehrmacht, die für die Kriegsgefangenen zuständig war.
Auf der örtlichen Ebene kamen häufig noch Bürgermeister, Partei- oder Gauleiter ins Spiel. Diese schwerfälligen und verworrenen bürokratischen Strukturen störten den reibunglosen Ablauf der Beschaffung und Vermittlung von Arbeitskräften.

Als Ende 1941 dann offensichtlich wurde, dass die Sowjetunion nicht durch einen Blitzkrieg niedergeworfen werden konnte und der Arbeitskräftemangel im Reich durch die vielen Einziehungen zur Wehrmacht immer eklatanter wurde, ernannte Hitler im März 1942 Fritz Sauckel zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA). Sauckel erhielt zur Durchführung seiner Aufgaben kein zusätzliches Personal, sondern lediglich die für den Arbeitseinsatz und die Lohnpolitik zuständigen Abteilungen des Reichsarbeitsministeriums sowie die Landesarbeitsämter und die Arbeits¨mter. Er machte die Gauleiter der NSDAP politisch für den Arbeitseinsatz in ihrem Bezirk verantwortlich und die Deutsche Arbeitsfront, die Arbeitsämter und der Reichstreuhänder der Arbeit von ihnen weisungsabhängig. Im Juli 1943 traten an die Stelle der Landesarbeitsämter und der Reichstreuhänder der Arbeit die Gauarbeitsämter. Damit passte er die Arbeitsverwaltung dem Aufbau der NSDAP an.
1942/43 stellte Fritz Sauckel die Anwerbung der Arbeitskräfte in den besetzten Gebieten systematisch auf Zwangsmaßnahmen um. In den besetzten Gebieten operierten nach wie vor in erster Linie die zumeist direkt mit der Wehrmacht in die überfallenen Länder einmarschierten Vertreter der deutschen Arbeitsverwaltungsbehörden oder von Sauckel bevollmächtigte andere militärische und zivile Dienststellen.

Briefkopf eines Schreibens des Arbeitsamtes Göttingen an den Oberbürgermeister von Göttingen vom 9. Janaur 1940 (Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 NR. 2, Bl. 375)
Siehe dazu auch Dokumente des Arbeitsamts Göttingen

Auf der örtlichen Ebene waren für den Arbeitseinsatz von Bedeutung:

  • die Arbeitsämter: Sie nahmen die zentrale Stellung bei der Vermittlung und Verteilung der Arbeitskräfte vor Ort ein. Jeder, der einen Zwangsarbeiter/eine Zwangsarbeiterin beschäftigen wollte – ob Privathaushalt, bäuerlicher Kleinbetrieb, mittelständischer Bauunternehmer oder industrieller Großbetrieb der Rüstungswirtschaft - musste zunächst einen Antrag beim ärtlich zuständigen Arbeitsamt stellen. Von dort erfolgte dann die Zuweisung, bei Mangel an zur Verfägung stehenden Arbeitskräften auch eine Ablehnung, wie beispielsweise die Göttinger Stadtverwaltung bei ihrem Antrag auf Zuweisung von französischen Kriegsgefangenen im September 1940 erfahren musste. Auch ein Oberbürgermeister bekam ohne die Zustimmung des Arbeitsamtes noch nicht einmal dann bevorzugt ausländische Arbeitskräfte, wenn diese in einem stadteigenen Lager untergebracht waren. Wichtig festzuhalten ist auch, dass eine Zuweisung von Arbeitskräften ohne Antragstellung durch den privaten Betrieb in keinem Fall erfolgte.
    Die entsprechenden Unterlagen des Arbeitsamtes Göttingen sind nicht erhalten. Doch finden sich einzelne Dokumente, die die Tätigkeit des Arbeitsamtes Göttingen illustrieren, in anderen Beständen.
  • die Deutsche Arbeitsfront: Die DAF war eine schon im Mai 1933 als "Ersatz" für die zerschlagenen Gewerkschaften gegründete Zwangsvereinigung aller Unternehmer und Arbeiter, die damit die Aufhebung des Gegensatzes zwischen Arbeit und Kapitel symbolisieren sollte. Auf Preise, Produktion und Löhne hatte sie nur marginalen Einfluss, dafür aber ein Mitspracherecht bei sozialen Fragen. Mit dem Einsatz ziviler Zwangsarbeiter war sie dann auch für deren sozialpolitische Beaufsichtung, deren "artgemäße Betreuung" und "Freizeitaktivitäten" in den Lagern zuständig.
    Für Göttingen sind eine Reihe von Propagandafotos der DAF über diese Freizeitaktivitäten erhalten und ein Brief vom 14.1.1943, in dem diese Freizeitaktivitäten für "Ostarbeiter" beschrieben werden; außerdem gab es in Göttingen eine französische Lagerzeitung.
  • der Reichsnährstand: Der Reichsnährstand war eine im September 1933 gegründete Zwangsvereinigung aller an der Erzeugung und dem Absatz von Lebensmitteln beteiligten Personen unter Leitung des Reichsbauernführers. Er war für die "Betreuung" der Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft zuständig.
  • die Wehrmacht: Sie war zuständig für die Bewachung der Kriegsgefangenen und die Einrichtung und Unterhaltung der Lager für Kriegsgefangene; sie beschäftigte auch zivile Zwangsarbeiter. In Göttingen unterhielt die Wehrmacht ein Lager f¨r französische Kriegsgefangene und eins für sowjetische Kriegsgefangene auf dem Lohberg und setzte zivile Zwangsarbeiter im Flakzeugamt ein.
  • die Betriebe: Die privaten Arbeitgeber (vom Rüstungsbetrieb bis zu den privaten Haushalten, in denen osteuropäische Dienst- und Kindermädchen arbeiteten) waren für die Unterbringung der Zwangsarbeiter, gegenenfalls die Einrichtung von Lagern oder sonstigen getrennten Unterkünften, die Verpflegung, Arbeitskleidung und die Bewachung und Bestrafung unter Aufsicht der Gestapo zuständig. Die Göttinger Rünstungsbetriebe unterhielten u.a. ein gemeinsames großer Lager auf dem Schützenplatz, dessen Betreiber unter dem Namen "Göttinger Küchenvereinigung e.V." firmierte.
  • die Kommunen: Sie stellten die Infrastruktur zur Verfügung, richteten gegebenenfalls auch eigene Lager ein und waren über das Ernährungsamt und das Wirtschaftsamt auch für Verpflegung und Bekleidung zuständig. Siehe dazu den Bericht über die Städtischen Zwangsarbeiter.
  • die Ortspolizei: Sie überwachte die Zwangsarbeiter im städtischen Raum, nahm auch Verhaftungen vor und übergab die Verhafteteten nach einem Aufenthalt im Polizeigefängnis der Gestapo; außerdem kontrollierte sie - gegebenenfalls auf Weisung des Gesundheitsamtes - die betrieblichen Lager. Solche Lagerkontrollberichte finden sich allerdings ausschließlich für die ersten Kriegsjahre in den Akten.
  • die Gestapo: Sie war für die Überwachung und Bestrafung aller zivilen Zwangsarbeiter und auch der sowjetischen Kriegsgefangenen zuständig (die Aburteilung westlicher Kriegsgefangener fiel in die Zuständigkeit der Militärgerichte, polnische Kriegsgefangene waren im Juli 1940 zwangsweise in den Zivilarbeiterstatus überführt worden) .
  • die SS: Der SS unterstanden die Konzentationslager. In Göttingen gab es eine Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald.

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    Literatur und Quellen:

    Kontrolle der Ausländer (spez.), 1922-1956, Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, passim.

    Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart München 2001, S. 36 f., S. 95 f.

    Robert Bohn, Ausländische Zwangsarbeitende in der NS-Kriegswirtschaft. Einführung in die Thematik, in: Danker, Uwe / Bohn, Robert / Köhler, Nils / Lehmann Sebastian (Hg.), "Ausländereinsatz in der Nordmark". Zwangsarbeitende in Schleswig-Holstein 1939-1945, Bielefeld 2001, S. 9-31, hier S. 23-30.


     


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